Ausstellung im Museion Bozen
Dreidimensionales in der Kunst
Zu dreidimensionaler Kunst gehört die Skulptur und Plastik ebenso wie die Installationen und Performances - also schlichtweg alles, was im Raum greift. Das Ausstellungsprogramm des Museion, Museum für moderne und zeitgenössische Kunst, in Bozen steht dieses Jahr im Zeichen dreidimensionaler Kunstwerke.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 04.06.2010
In der neuen Schau experimentieren der junge italienische Künstler Nico Vascellari und der renommierte Mexikaner Gabriel Kuri auf zwei Stockwerken des Glaspalastes mit Formen und Inhalten - vom Felsmonolithen bis zum Müllsack.
Nico Vascellari ist 1976 in der Provinz Venetien geboren. Er gilt als ein Vordenker der neuen italienischen Kunstszene, nahm 2007 an der Biennale von Venedig teil und 2008 an Manifesta 7. Er arbeitet vielfach mit Materialien aus der Natur.
Der 40-jährige Gabriel Kuri ist gebürtiger Mexikaner und lebt in Brüssel. Sein Ausgangsmaterial bilden häufig einfache Massenprodukte und Wegwerfartikel.
Schamane und Showman Vascellari
Nico Vascellari mag das Archaische. Er umkreist einen zehn Meter hohen Monolithen, der in der Mitte des Raumes steht. Einen Holzprügel schlägt und stößt er auf die hohle Bronzeskulptur. Der 34-jährige Italiener, den die große Performancekünstlerin Marina Abramovich zu ihrem Nachfolger gekürt hat, sieht sich selbst als Schamane und Showman. Er kommt aus der Underground-Punk- und Noise-Szene und ist in der Welt der bildenden Kunst gelandet. Seine Skulpturen sind Körper, Natur und Klang. Nico Vascellari will zusammenführen.
"Die Idee war es, zwei klassische Elemente der Skulptur miteinander zu verbinden", sagt Vascellari. "Für diesen Monolith haben wir aus einem Steinbruch ein großes Stück Marmor herausgesprengt und ins Tal geschleppt. Ich habe einen Abdruck aus Wachs angefertigt und das Ganze dann in Wachs gegossen. Wenn ich in meiner Performance auf die Bronze schlage, dann ergibt das ein Echo, so wie es das auch im Tal, in freier Natur gibt."
Materialien aus der Gegend
Das der Natur Entrissene muss nicht nur imposant sein. Es darf auch filigran sein. Kleinste Teile aus Moos, Ästen und Rinden aus den heimatlichen Wäldern fügt Nico Vascellari zu einem Alphabeth uralter und zeitgenössischer Zeichen. So entsteht ein großes Kaleidoskop echter Natur und eine abstrakte Verzierung.
Nico Vascellari ist in einer kleinen Stadt im Nordosten Italiens, in der Region Venetien geboren und aufgewachsen. "Viele Materialien kommen bei mir direkt aus der Gegend, wo ich aufgewachsen bin", erzählt Vascellari. "Vittorio Veneto liegt direkt am Fuße der Berge. Ich war viel unterwegs in den Wäldern mit meinen Eltern und Großeltern. Mein Großvater ist der Chef der Forstwache. Seine Erzählungen sind für mich Inspiration für meine Fantasien geworden. Und ich verwende natürlich persönliche Erlebnisse. Die Arbeit mit dem Titel 'Nester' entstand, weil ich mich von meiner langjährigen Freundin getrennt habe. Wir haben zusammen ein Haus gebaut. Und als wir uns trennten, habe ich das in meinem Kopf alles auseinander gelegt, aufgeklappt, abgedeckt. Ich habe das geöffnet, um genau hinschauen zu können. Eine Ebene aus Steinen, Holz und Ästen ist übriggeblieben. Da ist keine physische Entwicklung mehr möglich, sondern nur mehr eine Entwicklung, die die Zeit vorgibt. Das zu analysieren vom ersten bis zum letzten Moment war mein Auftrag."
Kuris Zettel-Wolken
Auch der Mexikaner Gabriel Kuri verschiebt die Grenzen von Kunst und Leben. Er inszeniert Weggeworfenes und Nutzloses. Alltägliche Dinge wie Einkaufstüten, Papierkörbe, Verpackungen tauchen in raumgreifenden Installationen auf. Das Massenprodukt ist der Protagonist. Konsum, Kapitalismus, Wirtschaft die Begriffe. Auf Eisenstangen sind meterhoch Kassazettel aufgespießt. Auf einem Förderband rollt eine Energiedose in endlosen Schleifen auf und ab. Zwischen Felsblöcken sind Tickets oder Socken eingeklemmt.
Gabriel Kuri spielt mit Materialien. Mit dem Harten und Weichen als Form und philosophischen Gedanken. Er spielt mit der Geographie des Ortes. Für das Museion wälzt er Steine aus der Südtiroler Landschaft oder bohrt Plastikflaschen durch ein wandhohes Abbild der drei Zinnen.
"Der versteckte Titel der Ausstellung ist: Ich vermisse die Berge", sagt Kuri. "Ich komme aus Mexiko, da gibt es eine Menge Berge. Ich lebe nun in Brüssel, da ist es flach. Für mich haben Berge geografische und metaphorische Bedeutung. Ich mag die Form, den Kontrast. Berge und alles drum herum finden sich in meiner Kunst: Wolken, die die Berge berühren, das sind bei mir dann Einkaufstaschen oder Kassazettel. Ich muss die Berge abstrahieren. Ich will nicht den Gipfel erklimmen."
So fliegen in Kühlschränken mit Glastür Nylonsäcken durch die Luft. Ein Wolkenkratzer aus Kassazetteln erklimmt die Decke des Museion.
Zweigeteilt wie die Sprachgruppen
Der Kurator Vincenzo de Belli hat zusammen mit Gabriel Kuri präzise auf die Räumlichkeiten des Museion Bezug genommen. Der Raum ist zweigeteilt. Vorne und hinten offen, die trennt die beiden Sprachgruppen, den italienisch und den deutschen Teil der Stadt. Und die Ausstellung ist ebenso zweigeteilt. In der Mitte ein leerer weißer Raum. Ein metaphysischer Platz. Rechts und links sind dann die Objekte angeordnet.
Kunst ist Alltag. Kunst ist lebendiger Körper. Mit Humor äußert Gabriel Kuri Gesellschaftskritik. Er lässt viel offen. Nicht nur der weiße leere Raum schafft Platz für Eigenes, alle Skulpturen scheinen für jeden einzelnen Zuschauer anders im Raum zu schweben.
Beide Künstler, Nico Vascellari und Gabriel Kuri, vereinen und verknüpfen unterschiedlichste Großzusammenhänge lustvoll und irritierend. Eine Ausstellung der harmonischen Gegensätze.