Michael Schmidts Schwarz-Weiß-Fotografien
Grau als Farbe
Das Münchner Haus der Kunst hat in den vergangenen Jahren immer wieder große Fotoausstellungen präsentiert: Andreas Gursky und William Eggleston, Robert Adams, Lee Friedlander und Martin Parr. Jetzt ist im Haus der Kunst die bisher größte Werkschau des Berliner Fotografen Michael Schmidt zu sehen.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 04.06.2010
Michael Schmidts "Markenzeichen": Er fotografiert ausschließlich schwarzweiß. Und: Er entwickelt stets große Serien. Serien über Frauen, die deutsche Provinz, Stadtlandschaften oder das Meer - und immer wieder über seine Heimatstadt Berlin. Mit seinen ungeschminkten, von grauer Ödnis zeugenden, wie Schnappschüsse wirkenden Alltagsszenen ist Michael Schmidt so etwas wie der "Fotograf der Stunde" geworden, seine Fotos erfreuen sich höchster Wertschätzung und werden auch im Rahmen der 6. Berlin Biennale zu sehen sein.
Brachen und marode Bauten
1965 veröffentlichte Alexander Mitscherlich seine berühmte Streitschrift wider die Verhunzung des Urbanen. "Die Unwirtlichkeit unserer Städte" handelte von den Sünden des Wiederaufbaus, der Verödung der Zentren, der uniformen Monotonie der Wohnblocks - und wie diese auf Psyche und Kommunikation durchschlagen.
Zur gleichen Zeit machte ein 20-jähriger Berliner seine ersten Fotografien, und was er mit der Kamera festhielt, war seine unmittelbare Lebenswirklichkeit: Michael Schmidt fotografierte damals und in den folgenden Jahrzehnten Baulücken und Brachen, marode Mauern und leere Straßenkreuzungen, Betonaufgänge und Asphaltflächen mit Leitplanken. Schmidt fotografierte ausschließlich in Schwarzweiß und mit ungewöhnlichen Ausschnitten, was er in Berlin sah und kein anderer fotografieren wollte: die Unwirtlichkeit seiner Stadt. Und fast konnte man den Eindruck gewinnen, als hätte da einer zu Mitscherlichs Buch die Illustrationen geliefert.
"Mich interessieren Dinge, die mich - ich will nicht einmal sagen: im negativen - ansprechen", sagt Schmidt, "aber die unsere Welt bestimmen letztendlich. Und die hat eine Entfremdung. Sie hat eine starke Industrialisierung. Ich finde, diese Art der Entwicklung hat nicht unbedingt für den Humanismus was Schmeichelndes, und ich finde es auch in einer bestimmten Weise unwirtlich und unschön, aber ich wünsche mir nichts anderes zurück. Aber man muss diese Welt schon benennen, um sich damit auseinanderzusetzen und sie zu erneuern."
Matt- und sattgrau, flau- und dunkelgrau
Rund 400 Fotos aus fünf Jahrzehnten präsentiert nun das Münchner Haus der Kunst - und zeigt damit die bislang umfassendste Werkschau von Michael Schmidt, einem Autodidakten, der sich keiner Schule zurechnen lässt, der unbeirrbar seinen Weg gegangen ist. Seine Bilder, sagt der Ex-Polizist mit der "Berliner Schnauze", der Porträts, Interieurs und das Meer fotografierte und immer wieder Stadtlandschaften und Berlinansichten, seine Bilder sind nicht schwarzweiß, sondern grau: matt- und sattgrau, flau- und dunkelgrau. "Schwarz und Weiß sind bei mir immer das dunkelste Grau und das hellste Grau", sagt Schmidt:
"Mich hat diese Geschlossenheit dieses Schwarzweiß-Systems nie wirklich interessiert. Die Grafik sowieso nicht, das grafische Element. Und ich fand, dass das Schwarzweiß-Papier einen phantastischen Grauwertreichtum hat, wenn man ihn auch wirklich ausschöpft. So bin ich dazu mit den ganz frühen Bildern schon in den 70er Jahren gekommen, wo ich den ganzen Graubereich abgedeckt habe und Grau als eine Form der Farbe betrachtet habe. Denn Weiß und Schwarz sind Unfarben, aber Grau ist eine Farbe, weil sie sich mischt."
Auch die Schattenseiten sind schön
"Grau als Farbe" heißt der Titel der Schmidt-Schau, die, mit einem ungewöhnlich breiten Spektrum an Grautönen, Bilder zeigt, die man als Bilder "ohne Ereignis", ohne jede oberflächliche Attraktion, mit einem "absichtsvollen Mangel an Information" bezeichnen kann: ein zerdrücktes Stück Rohr an einer Hauswand, ein auf der Seite liegendes Schrottauto, ein Herd mit Pfanne und Hühnchen, ein leerer Kinderspielplatz vor einer Betonsilhouette.
Der Blick auf das vermeintlich Banale als Aussage über die conditio humana: überall Kälte, Unbehaustheit, Tristesse. Alles grau, schäbig, verlassen und lustlos. Orte als Unorte, Architektur als Indikator eines sozialen Klimas, als Zeuge der Geschichte, des Wiederaufbaus, des Retortenhaften und Provinziellen. Da kann selbst eine Mülltonne zum signifikanten Sujet werden.
"Ich finde die Welt schön, mit all ihren Schattenseiten", so Schmidt. "Schönheit ist für mich die Form, die man als Zuneigung gegenüber dem Objekt findet. Das ist für mich Schönheit. Und keines der Bilder, die da hängen, hat nicht auch damit zu tun, dass ich für die Dinge irgendwo ein Verständnis und eine Faszination empfunden habe, bis hin zu einer totalen Zuneigung. Bei der Hässlichkeit ist es eben, dass die Zuneigung versagt. Ohne dass man es will, ist man innerlich abgestoßen, weil man als Mensch damit nicht mehr umgehen kann. Es gibt also auch bei meinem Schönheitsbegriff das Gegenteil von Schönheit."
Die Wirklichkeit hinter dem Sichtbaren
Schmidt versteht sich weniger als Chronist oder Dokumentarist, denn als Realist, der die Wirklichkeit hinter dem Sichtbaren zeigen will, dabei meist mehrere Jahre an einem Projekt arbeitet und umfangreiche Fotoserien entwickelt - Kunstwerke, die mehr sind als die Summe ihrer Einzelteile.
"Waffenruhe" von 1987 beispielsweise, ein 48-teiliger Zyklus, der für Schmidt den internationalen Durchbruch bedeutete, kombiniert Porträts selbstbewusst-gestylter Jugendlicher mit Aufnahmen von Mauern, Gestrüpp und Graffitis, von Panzersperren und Hakenkreuz-Schmierereien: ein Bild Berlins vor dem Mauerfall?
"Berlin ist nur als Beispiel zu nennen", sagt Schmidt. "Hinter diesen Berliner Bildern steckt einfach Verlust, Angst, Trennung, Traumatisierung dieser Wechselwirkung Ost-West. Und die Teilung, die jeder Mensch auch persönlich mit sich durchmacht... Es ist vielschichtiger, als dass es einfach nur um eine Mauerdokumentation geht von Berlin."
Ein Kaleidoskop deutsch-deutscher Geschichte
"Berlin Wedding", "Berlin nach 1945", "Irgendwo" oder "Frauen" lauten Schmidts große, auch in Buchform publizierte Fotoserien, die größte und für manche bedeutendste aber heißt "EIN-HEIT". Die zwischen 1991 und '94 entstandene Serie aus 118 hochformatigen Fotos, die auch im Museum of Modern Art in New York zu sehen war, zeigt das Haus der Kunst im riesigen Saal des Ostflügels: eine Kombination aus eigenen mit fremden Bildern.
Schmidt mischt Porträts von Göring, Adenauer oder Honecker mit Bildern von Militärparaden, Rentnern und Fabrikarbeiterinnen, Plattenbaufassaden, vergitterten Fenstern, Hakenkreuzfahnen und Topfpflanzen. Eine Art Kaleidoskop deutsch-deutscher Geschichte, eine Reflexion über Masse und Macht, nicht zuletzt auch über die Macht des Bildes.
"Ich glaube nicht in der Fotografie an das reine Einzelbild", meint Schmidt. "Ich glaube daran, dass die Fotografie zwar als Einzelbild formuliert werden sollte, aber dass das Einzelbild dem Gesamten untergeordnet ist, um zu einer anderen Verdichtung zu kommen. Das einzelne Bild ist nicht erzählerisch. Sondern durch die Kombination ergibt sich zwischen zwei Bildern ein drittes, was Musikalität und Erzählung hat. Aber das ist nicht sichtbar."
Raus aus der Stadt
In den letzten Jahren scheint sich Michael Schmidt von seiner Berlin-Obsession gelöst zu haben. Er habe Berlin nicht leerfotografiert, sagt der mittlerweile 65-Jährige - und dennoch andere Themen vorgezogen. Er hat die deutsche Provinz erkundet, Menschen in ihrem privaten und beruflichen Kontext porträtiert, Frauenbildnisse arrangiert und fast klassisch-schöne Meeresstilleben gefertigt.
Weitab von einem peniblen Milieu-Realismus ringt Michael Schmidt dem Grau des Lebens immer neue Aspekte, Perspektiven und Nuancen ab und erfährt jetzt die überwältigende Resonanz auf eine Schwarzweiß-Fotografie, die für den Künstler nichts weniger ist als eine Farbfotografie.