Was wissen wir eigentlich über dieses Land?

Finnen von Sinnen

Das neue Buch des Autors, Philosophen und Wahlfinnen Wolfram Eilenberger bietet Reminiszenzen und Beobachtungen und handelt auch von einer Liebesgeschichte - zu einer Frau und ihrer Heimat, einem fremden, ungewöhnlichen, oft unter Skurrilitätsverdacht gestellten Land.

Viele Wälder, wenige Menschen

Finnland - das sind wenig Menschen in einem riesigen Land, viele Wälder, tausend Seen und Myriaden von Stechmücken. Finnland - das sind eiskalte Winter und kurze Sommer. Das sind papierverarbeitende Industrie, Biotechnologie und Mikroelektronik, Nokia, Räikkönen und Kaurismäki.

Das ist schon fast alles, was wir über Finnland und die Finnen, unsere nördlichen Nachbarn, wissen. Allenfalls haben wir noch von diversen Absonderlichkeiten der Finnen gehört, von ihrer Meisterschaft im Luftgitarrespielen, im Handy- oder Gummistiefelweitwurf. "Eines ist ganz klar, die Finnen sind die fremdeste Kultur in Europa. Die sind ein Volk, das wir einerseits für sehr sympathisch und sehr freundlich halten, von dem wir andererseits aber fast gar nichts wissen," sagt Wolfram Eilenberger. "Dies ist auch ein sehr interessantes Faktum: Wir finden alle die Finnen sehr sympathisch, sie werden kaum einen Menschen finden, der irgendetwas Böses über Finnland sagt - aber sie werden auch ganz wenig Menschen finden, die überhaupt irgendetwas über Finnland wissen."

Unterhaltsam-feuilletonistischer Zugang

Diese Bildungslücke zu schließen schickt sich nun Wolfram Eilenberger an. "Finnen von Sinnen. Von einem, der auszog, eine finnische Frau zu heiraten", heißen die Finnland-Reminiszenzen und -Beobachtungen des Autors, Philosophen und Wahlfinnen, und dass es in diesem Buch weniger aufklärerisch-trocken als unterhaltsam-feuilletonistisch zugeht, verrät schon sein Titel. Schließlich handelt Eilenbergers Finnland-Buch auch von einer Liebesgeschichte - zu einer Frau und ihrer Heimat, einem fremden, ungewöhnlichen, oft unter Skurrilitätsverdacht gestellten Land.

"Was wir überhaupt von Finnland wissen, das sind immer sehr abseitige Dinge", sagt Eilenberger. "Die Finnen sind ein wenig seltsam - wie das Moorfußballspielen, das Kampfsaunen oder die Bird-Watcher-Weltmeisterschaften - das sind alles Dinge, für die Finnland in den Medien erscheint. Die Erwartung ist immer die, dass die Finnen ganz abseitige Dinge sehr gut können, und die wird auch erfüllt. Und das andere ist, dass wir Finnland sehr bewundern, zumindest die Deutschen tun das, weil sie glauben, dass in Finnland gesellschaftliche und politische Prozesse ablaufen, die wegweisend sind, die ein wenig weiter in die Zukunft blicken. Und tatsächlich ist ja Finnland in den Zukunftstechnologien die führende Nation in den letzten 15 Jahren gewesen. Und wie es kommt, dass gerade ein Hüttenvolk, das auch noch sehr schweigsam ist, die kommunikative Revolution des 20. Jahrhunderts auslöst - das ist eine sehr interessante Frage."

Monotonie, Ruhe und Bescheidenheit

Auch wenn Wolfram Eilenberger betont, kein autobiographisches Buch geschrieben zu haben, Ähnlichkeiten zwischen Autor und Erzähler kann und will er nicht abstreiten. Die Liebe zu Pia Päiviö entzündete sein Finnland-Faible, und die Vorbereitungen zur Hochzeit mit der großgewachsenen, ehemaligen finnischen Basketballnationalspielerin bilden den Rahmen seiner oft überraschenden, nicht selten witzigen, aber nie nur launig-anekdotenhaften Auslassungen über die Finnen und das Finnische.

Eilenberger schreibt über finnische Monotonie, finnische Schweigsamkeit und finnische Ruhe, über Bescheidenheit und Pragmatismus, über gewöhnungsbedürftiges Klima, typische Gerichte, Eishockey-Siege und Sicherheitsschlösser. Er erklärt, warum die Sauna nicht nur ein Ort zum Schwitzen und das Oberhaupt der lutherischen Kirche konfessionslos ist, was es mit der Allgegenwärtigkeit des Marimekko-Musters auf Blusen, Vorhängen und Untersetzern auf sich hat - und was die Finnen meinen, wenn sie "höpöhöpö" sagen.

"Wenn zum Beispiel ein deutscher Mann nach Finnland kommt und erzählt, was er alles geleistet hat, oder wie viel er verdient, oder was tolles passiert ist, dann sagen die Finnen immer 'höpöhöpö'. Das ist kein Begriff, der sich übersetzen lässt, das ist eher eine Lebenshaltung, sie läst sich vielleicht durch 'Maß halten','nur nicht übertreiben', 'immer halblang' ausdrücken", erzählt Eilenberger. "Wenn man überlegt, woher das eigentlich kommt, diese gesunde Bescheidenheit im Finnischen, dann hat das damit zu tun, dass Finnland eine Mangelkultur ist. Es ist sehr hart, dort zu überleben. Diese Mangelkultur, die in Finnland über Jahrtausende herrschen musste aufgrund des Klimas, hat zu so einer Kultur des Maßhaltens und der Bescheidenheit geführt, von der ich glaube, dass sie gerade jetzt sehr am Platz ist und Finnland sehr viel Gutes tut."

Höpöhöpö, mökki, löyly oder pömpeli: Eilenbergers Buch ist auch ein Grundkurs in Finnisch, es klärt auf über finnische Sprache und Mentalität, Redensarten und Grammatik, weist darauf hin, dass diese Sprache kein Geschlecht kennt und keine Präpositionen, dafür fünfzehn Fälle, dass keine andere Sprache im Schnitt "mehr Sinn pro Buchstabe" vermittelt als das Finnische und die Finnen eigentlich weniger schweigsam, als sparsam sind: "Sie sagen einfach mit weniger mehr" (Eilenberger) und sind weit davon entfernt zu glauben, dass durch Reden Probleme aus der Welt geschaffen werden.

Modelland Finnland?

Die Finnen und das Finnische - sie nehmen eine Sonderrolle ein, nicht selten auch eine führende. Das größte Wachstumspotenzial, die wenigsten Konkurse, die geringste Korruption, das innovationsfreundlichste Umfeld, die erfolgreichsten Frauen - auch das ist Finnland. Taugt Finnland also als Modell? Hat dieses Land gar keine Probleme?

"Finnland ist sicher die homogenste Kultur in Europa. Der Ausländer- und Einwanderer-Anteil ist extrem gering, so dass der Fremde als Fremder in Finnland eine ganz neue Gestalt ist. Da, denke ich, sind in Finnland jetzt Herausforderungen da, die das Land meistern muss und von denen ich nicht weiß, wie sie gemeistert werden. Denn es gibt in den letzten 20 Jahren kein Land, dass mehr von der Globalisierung profitiert hat als Finnland, es gibt aber auch kein Land, das weniger von Einflüssen der Globalisierung betroffen war als Finnland", sagt Eilenberger.

"Finnland ist ein Land, das sich aufgrund der Alterspyramide und der gesellschaftlichen Zusammenhänge erneuern muss durch Einwanderung", meint Eilenberger, "und da es eine Kultur ist, die auf den Fremden gar nicht eingestellt ist, ist es eine sehr große Herausforderung für die Finnen, die Fremden ins Land zu lassen und einen Platz für sie in ihrer Gemeinschaft zu finden."
Es warten also große Aufgaben auf das kleine, in Wolfram Eilenbergers kurzen Geschichten so liebevoll porträtierte Land. Doch es besteht Grund für den Optimismus, dass die Finnen sie meistern. Schließlich haben sie mehr als einmal ihre Leistungsfähigkeit bewiesen - nicht nur im Handyweitwurf, Kampfsaunieren oder Moorfußballspielen.

Service

Wolfram Eilenberger, "Finnen von Sinnen: Von einem, der auszog, eine finnische Frau zu heiraten", Blanvalet Verlag

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