Premier Balkenende tritt zurück
Niederlande: Wilders großer Gewinner
Den erwarteten Machtwechsel hat die Parlamentswahl in den Niederlanden gebracht. Der langjährige Premierminister Jan Peter Balkenende hat mit seinen Christdemokraten eine historische Niederlage erlitten und seinen Rücktritt erklärt. Der Gewinner: Rechtspopulist Geert Wilders wird mit seiner Partei für die Freiheit Dritter.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 10.06.2010
"Keiner kommt an uns vorbei"
Dass Geert Wilders dazugewinnen wird, galt als sicher - doch dieser Stimmenzuwachs war angesichts der stagnierenden Umfragewerte der letzten Wochen die große Überraschung des Wahlabends. Nun ist die Partei für die Freiheit (PVV), die einen eisernen Ausländer- und Anti-Islam-Wahlkampf geführt hat, die drittstärkste Kraft im Parlament. Geert Wilders erklärt sich zum Wahlgewinner: "Wir sind der große Gewinner vom Tag. Unsere Partei spielt eine Rolle, politisch kommt niemand mehr an uns vorbei."
Zittern um Platz Eins
So deutlich das Ergebnis für Geert Wilders ausgefallen ist, so knapp haben es die Liberalen an die Spitze geschafft. Zwar sind die Zugewinne beachtlich, doch die sozialistische Arbeiterpartei liegt mit nur einem Mandat dahinter, an zweiter Stelle. Ganz klare Antworten wird wohl erst das offizielle Endergebnis liefern, dass in den kommenden beiden Tagen erwartet wird.
Vorläufiges Wahlergebnis
Das Ergebnis nach Auszählung von 88 Prozent der Stimmen:
1. Rechtsliberale "Partei für Freiheit und Demokratie" (VVD), 31 Sitze (2006: 21)
2. Sozialistische "Partei der Arbeit" (PvdA), 30 Sitze (33)
3. "Partei der Freiheit" (VVD), 24 Sitze (9)
4. "Christlich-Demokratischer Appell" (CDA), 21 Sitze (41).
Insgesamt sind im niederländischen Parlament 150 Sitze zu vergeben, zehn Parteien werden einziehen.
Erster Liberaler Premier seit 97 Jahren
Trotz Kopf an Kopf-Rennens mit der Arbeiterpartei lässt sich der Liberale Spitzenkandidat Mark Rutte von seinen Anhängern als Wahlsieger feiern: "Was für ein phantastischer Abend, wer hätte sich vor einem halben Jahr ein solches Ergebnis für die VVD vorstellen können?" Der Rechtsliberale Mark Rutte hat damit Chancen der erste Liberale Premierminister seit 97 Jahren zu werden.
Arbeiterpartei will in Regierung
Doch die Regierungsbildung wird nicht leicht. Rutte ist weit von der absoluten Mehrheit entfernt und muss sich Partner suchen. In die Regierung will auf jeden Fall die Arbeiterpartei mit Job Cohen. Im Wahlkampf war noch klar, dass die Arbeiterpartei auf keinen Fall mit Geert Wilders' Partei für die Freiheit zusammenarbeiten würde. Am Wahlabend aber verliert Job Cohen kein böses Wort über die Rechtspopulisten - im Gegenteil: "Vier Parteien haben bei dieser Wahl gewonnen und ich will ihnen allen gratulieren und ich beginne mit der Partei für die Freiheit."
Balkenende legt Amt zurück
Der große Verlierer des Abends ist Jan Peter Balkenende. Acht Jahre lang war er mit seinen Christdemokraten an der Spitze der niederländischen Regierung. Dieses Kapitel endet mit dieser Wahl. Balkenendes Partei CDA verliert die Hälfte ihrer Mandate und liegt sogar hinter Geert Wilders Partei. Der Regierungschef zieht die Konsequenzen: "Ich habe unseren Parteivorsitzenden wissen lassen, dass ich mein Amt zurücklege und dass ich auch nicht ins Parlament einziehen werden."
Unklare Mehrheitsverhältnisse
Sobald das endgültige Ergebnis feststeht, wird der Wahlsieger mit der Regierungsbildung beauftragt. Die Suche nach Koalitionspartner dürfte angesichts der unklaren Mehrheitsverhältnisse jedoch länger dauern, als Mark Rutte im Wahlkampf versprochen hatte. Er wollte schon am ersten Juli sein neues Kabinett präsentieren.
"Keine politischen Antworten auf die Zukunftsangst"
Der niederländische Schriftsteller Hans Maarten van den Brink im Mittagsjournal-Gespräch mit
Grundproblem Zukunftsangst
Der niederländische Schriftsteller Hans Maarten van den Brink glaubt nicht, dass sich die Gesellschaft der Niederlande nun nach der Wahl so rasch ändern werde. Geert Wilders könne man nicht einfach in des Rechts-Links-Schema einordnen. Er sei sehr intolerant in Sachen Islam, aber sehr tolerant, wenn es um Homosexualität geht oder um Individualismus. Und in ökonomischen Fragen seien die Positionen von Wilders PVV eher links, meint van den Brink im Mittagsjournal-Gespräch. Das Grundproblem: Die Niederlande hätten jetzt "die erste Generation, die grundsätzlich denkt, unsere Kinder werden es schlechter haben." Politische Antworten gebe es darauf nicht, sagt der Schriftsteller.