Welche Spuren seines Lebens bleiben?
Robert, 17 Jahre, Kosovo
Mitte Februar 2010 holte die Polizei die Familie K. ab. Fünf Jahre hatten das Ehepaar und seine drei Söhne in einer 1.800-Einwohner-Gemeinde bei Wiener Neustadt gewohnt. Bald darauf saßen sie im Flugzeug in den Kosovo. Ihr Asylantrag war abgelehnt worden.
8. April 2017, 21:58
"Hier hab ich keine Zukunft"
Robert K. wurde mit seinen Eltern und Brüdern im Februar 2010 aus Österreich abgeschoben. Nach fünf Jahren in Winzendorf-Muthmannsdorf, einem kleinen Ort bei Wiener Neustadt, wurde er mitten aus dem Schuljahr gerissen und ist nun im Kosovo zum Nichtstun verurteilt. Die Sendereihe "Moment" berichtet in regelmäßigen Abständen von Menschen, die abgeschoben wurden.
"In Österreich hätte ich Mechaniker gelernt, das war mein Traumberuf, hier im Kosovo kann ich das nicht machen", sagt Robert K. Seit drei Monaten ist er mit Vater, Mutter, fünfzehn- und neunjährigem Bruder dort, wo er nicht sein will: In einem kleinen tristen Ort im Kosovo. Polytechnischen Lehrgang gibt es hier keinen: "Hier hab ich keine Zukunft, ich will wieder nach Österreich. Ich sitze die ganze Zeit nur zu Hause herum, ich wird' noch narrisch".
Die fünfköpfige Familie ist bei Verwandten untergekommen, lebt in ärmlichen Verhältnissen. Wie genau, möchte Robert nicht sagen, es ist ihm unangenehm.
Per Telefon verbunden
Die Trennung von seinen Freunden und vor allem von seiner Freundin macht ihm zu schaffen. Er hatte nicht die Möglichkeit, sich zu verabschieden. Die beiden sind seit sechs Monaten ein Paar, telefonieren täglich miteinander. Dass er seine erste große Liebe nie wieder sehen soll, möchte Robert nicht wahrhaben.
"Die Stimmung ist gedrückt, alle sind traurig", erzählt Robert. Seine Mutter leidet unter Bandscheibenproblemen, bräuchte jeden zweiten Tag eine Infusion. Dazu fehlt der Familie K. das Geld. Seine jüngeren Brüder gehen zur Schule, sein Vater - er ist gelernter Maler und Anstreicher - finden keine Arbeit: "Im Kosovo arbeitet fast keiner."
Arbeitslosigkeit und Armut
Die katastrophale wirtschaftliche Lage des Kosovo hat sich seit der Ausrufung der Unabhängigkeit im Jahr 2008 nicht verbessert, heißt es in einer Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung im Oktober 2009. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist weiterhin mehr als prekär. Die Anzahl der Arbeitslosen steigt ständig, die Arbeitslosenrate lag in den Jahren 2007 und 2008 bei etwa 45 Prozent - die höchste Quote in der Balkanregion. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 70 Prozent.
Fast 40 Prozent der Kosovaren leben in Armut, davon etwa 15 Prozent in extremer Armut - sie verfügen über ein "Budget" von weniger als 0,90 Euro pro Tag.
Geänderte Asylbestimmungen
Roberts Vater ist in Folge des Kosovo-Krieges geflohen und hat im Juni 2004 in Österreich um Asyl angesucht. Einen Monat zu spät. Bleiberecht erhielten Flüchtlinge, die sich bis Mai 2004 meldeten.
Kurz nachdem die Familie abgeschoben wurde, ist die Frist jedoch um ein Jahr verlängert worden. Das heißt, die Familie hätte jetzt ein Bleiberecht. Sie wartet und hofft auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes, denn der könnte den negativen Asylbescheid noch aufheben.
Abschiebung im Eiltempo
Die Abschiebung begann am 17. Februar 2010. Robert war am Nachmittag mit seinen beiden Brüdern zu Hause. Plötzlich klopfte es, zwei Polizisten standen in der Tür und suchten Roberts Eltern. Vater und Mutter waren beim Arzt. Die Polizei holte sie von dort ab. Dann erfuhren sie, dass ihr Asylbescheid negativ war.
Die Polizisten mahnten zur Eile. Schnell musst es gehen. Nur das Notwendigste durfte gepackt werden. Robert stopfte ein paar T-Shirts, Hosen, die Zahnbürste in eine Tasche. Hätten Nachbarn und Freunde die restliche Kleidung und die Bücher nicht eingepackt und ihnen nachgeschickt, hätten sie diese vermutlich nie wieder gesehen.
Wie in Trance habe er das miterlebt, erzählt Robert. Sein Vater versuchte Hilfe zu holen, rief Helmut Rothberger an. Helmut Rothberger ist Trainer im örtlichen Sportverein und Freund der Familie. Ein aufgeregtes Telefonieren begann. Freunde, Bekannte, Gemeindevertreter, der Bürgermeister wurden alarmiert.
Doch es half nichts. Familie K. wurde für drei Nächte in ein Quartier der Fremdenpolizei in Bad Vöslau gebracht und dann in Schubhaft in Wien gesteckt. Die Familie wurde getrennt: Der Vater mit den zwei älteren Brüdern in eine Zelle gesperrt und die Mutter mit dem jüngsten in eine andere.
Ankunft in der Fremde
Am nächsten Tag fuhr die Polizei Familie K. in Richtung Flughafen. Robert saß schweigend im Auto und hoffte auf ein Wunder, erinnert er sich. Dass seine Freunde den Wagen stoppen oder dass das Flugzeug nicht abheben kann. Aber die Beamten setzten alle in ein Linienflugzeug, und bald darauf standen sie auf der Landebahn des Flughafen Prishtina, der Hauptstadt des Kosovo.
"Für mich war das ein fremdes Land, in dem ich mit 12 Jahren zum letzten Mal war, wo ich keine Freunde habe", erklärt Robert.
Private Initiative
Die Nachricht vom Verschwinden der Familie K. versetzte Winzendorf-Muthmannsdorf in Aufruhr. In dem Ort mit 1.800 Einwohnern, zwei Gasthäusern und einem Kaffeehaus wurde über nichts anderes geredet. Die Familie hatte am Vereinsleben des Ortes teilgenommen und war akzeptiert. "Sie haben sich in der Kirche, bei der Feuerwehr engagiert und alle - bis auf die Mutter - haben beim örtlichen Fußballverein gespielt", erzählt Helmut Rothberger.
50 Dorfbewohner vereinbaren, etwas zu tun: Sie schließen sich zu Fussballverbindet.org zusammen und schalten Karin Klaric, eine Anwältin von Purple Sheep, ein. Purple Sheep ist ein Verein, der Rechtsberatung für Asylwerber anbietet. Helmut Rothberger, von Beruf Schweißtechniker mit eigener Firma, hätte nie gedacht, dass er sich jemals politisch engagieren würde, dass er bei Pressekonferenzen am Podium sitzen und Medienanfragen beantworten würde: "Wir sammeln Unterschriften, 12.000 haben wir bereits, denn so darf man mit Menschen nicht umgehen. Ich hätte mir nicht erträumen lassen, dass ich so etwas erlebe. Ich kann nicht stolz auf Österreich sein, wenn so etwas passiert."
Hoffen auf Rückkehr
Der Fall ging durch alle Medien. Helmut Rothberger hatte eine besonders enge Beziehung zu dem neunjährigen Bernard. Sein Sohn Markus ist mit ihm zur Schule und zum Fußballtraining gegangen. Er sei sehr schwierig gewesen, seinem Sohn das zu erklären, erzählt Helmut Rothberger. Markus habe nicht verstanden, warum ein Kind ins Gefängnis müsste und hätte selbst Angst, abgeholt und eingesperrt zu werden.
"Markus schaut jeden Tag auf die Homepage von fußballverbindet.org, um dann begeistert zu verkünden: 'Papa, wir haben schon wieder mehr Unterschriften'", erzählt Helmut Rothberger. Er klammert sich an die Hoffnung, dass sein Freund und dessen Familie bald wieder zurückkommen.
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