Ein Jahr Mahmud Ahmadinedschad
Ende der Demokratie
Es wird nichts mehr sein wie es war. Darüber waren sich die Menschen im Iran und außerhalb einig, nachdem vor genau einem Jahr die Machthaber in Teheran das Ergebnis der Präsidentenwahl in einen triumphalen Sieg für Präsident Ahmadinedschad verfälschten. Das militärisch-konservative Lager hat seither auf alles Demokratische verzichtet.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 11.06.2010
Kein Visum für Journalisten
Ein Jahr nach der Wahl ist der Iran ein geknebeltes Land. Kritische Medien existieren nicht mehr. Über hundert Journalisten und Journalistinnen sitzen im Gefängnis. Ausländische Journalisten bekommen nur in seltenen Fällen ein Visum, und wenn, dann werden sie auf Schritt und Tritt kontrolliert. Wer einen Ausländer trifft oder mit ihm telefoniert, riskiert, wegen Spionage für dem Feind, Verfolgung und Gefängnis.
Rückblick: Wahl im Juni 2009
Das war nicht immer so. Anfang Juni 2009. Wenige Tage fehlen bis zur Präsidentenwahl. Abertausende sind auf den Straßen Teherans. Was sie vereint, ist ihre Unzufriedenheit mit Präsident Ahmadinedschad und ihre Hoffnung auf einen Wechsel. Ihre Kandidaten sind Moussavi und Karroubi. Mehr als jemals zuvor beteiligen sich an der Wahl. Am Abend dann der Schock: Betrug. Beispiellos und unerhört hat das Regime die Wahl gefälscht. Wieder gehen unzählige auf die Straße.
Drei Millionen auf der Straße
Mit Gewalt treiben Kommandos aus Polizei und Basidj die Proteste auseinander. Noch ist das Regime unvorbereitet. Drei Tage nach der Wahl kann es einen Protestmarsch mit drei Millionen Menschen in Teheran nicht verhindern. Es ist die Geburtsstunde der Grünen Bewegung. Tage- und Wochenlang tönt der nächtliche Protestruf der enttäuschten Wähler über die Dächer der Städte. Aber immer brutaler schlägt das Regime zu. Der mit einem Handy gefilmte Tod der Studentin Neda wird zum Symbol für Repression, Mord, Verhaftung und Folter.
Grüne Bewegung lebt
Heute, ein Jahr später, ist es still geworden. Man möchte meinen, die Grüne Bewegung gibt es nicht mehr. "Die Wahrheit ist, die Grüne Bewegung lebt", sagt Mehdi Khalaji vom Washington Institute für Nahost-Studien, einer der besten Kenner des politischen Systems im Iran. Es sei falsch, den Widerstand an der Präsenz in den Medien oder der Größe der Proteste zu messen.
Integration bestehender Bewegungen
Die Grüne Bewegung, sagt Khalaji, arbeite hart daran, sich zu reorganisieren und bestehende Bewegungen wie die der Frauen, Studenten, Arbeiter, zu integrieren, um so über die Städte hinauszureichen. Und sie sei sehr erfolgreich dabei. "Diese Bewegung besteht hauptsächlich aus den Mittelklassen und den unter 30-jährigen. Ihre sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Interessen decken sich nicht mit den Interessen des Regimes, das ein Anti-Mittelklassen-Regime ist", sagt Khalaji.
Freiheit und Leben riskieren
Das Regime habe es geschafft, alle Schichten gegen sich aufzubringen. Säkulare und Religiöse, Städter und Dorfbewohner, arm und reich, Kleriker, Intellektuelle und Ungebildete. Daher sympathisiere die große Mehrheit mit der Grünen Bewegung."Wie weit aber die einzelnen bereit sind, ihre Freiheit zu riskieren, ihren Job, ihr Leben, ist offen. Viele sind es noch nicht, wegen dem hohen Maß an Einschüchterung und Repression", erklärt Khalaji. Je mehr Gewalt das Regime anwende, desto furchtloser würden viele. Und das wiederum würde viele ermutigen, die Angst haben.
Khamenei ist schwach
Die Abwesenheit einer starken Führung ist für Khalaji keine Schwäche der Bewegung. Gerade in ihrer Dezentralisiertheit liege ihre Stärke und Modernität. Die Führung seien ein paar tausend Aktivistinnen und Aktivisten. Ihr Instrument ist das Internet, das kein Zentrum hat. Der mächtigste Mann im System, Ajatollah Khamenei wiederhole den Fehler des Schahs. Wie dieser stütze er seine Macht mittlerweile nur mehr auf einen kleinen Kreis: Ein mächtiges Militär, die Revolutionsgarden und den Geheimdienst. "Das funktioniert nicht im Iran, die Geschichte hat es gezeigt. Khamenei spürt, dass er schwach ist und Legitimität und Popularität, zwei Säulen des Systems, verloren hat", erklärt Khalaji.
"Revolution nicht vorhersehbar"
Verhängnisvoll für das Regime sei auch, das sich die Interessen der Demokratiebewegung mit jenen der internationalen Gemeinschaft deckten. Die Revolutionsgarden, die den Frieden im Nahen Osten bedrohen, seien zugleich der Apparat, der das eigene Volk unterdrücke. Das Machtgefüge sei von zwei Seiten unter großem Druck, von innen und von außen, was seine Gefahr zu stürzen, erhöhe. "Wir können die Situation nur analysieren, nicht voraussagen. Keine Revolution, keine politische Bewegung in der Geschichte war vorhersehbar", wehrt sich Mehdi Khalaji gegen die Frage: Wie lange noch.
Iran "schwanger mit Demokratie"
"Was ich Ihnen sagen kann ist, dass diese Situation nicht lange andauern kann. Iran ist nicht Irak, nicht Syrien, nicht Nordkorea. Was vorgeht, ist das Ergebnis von hundert Jahren Kampf um Demokratie. Und das iranische Volk hat gezeigt, dass eine Militärdiktatur im Iran kein langes Leben hat." Der Iran, schließt Mehdi Khalaji, gehe schwanger mit Demokratie und werde dieses Kind bald hervorbringen. Der Überzeugung des Exiliraners steht allerdings ein Regime gegenüber, das alle Macht in Händen hält. Vorerst jedenfalls.