Flämische Nationalisten könnten gewinnen

Belgien: Neuwahlen nach Sprachenstreit

Am Sonntag wird in Belgien ein neues Parlament gewählt. Meinungsumfragen sehen die separatistische Mitterechtspartei NVA des flämischen Nationalisten Bart de Wever als wahrscheinlichen Sieger. Die NVA strebt einen unabhängigen flämischen Staat an. Neuwahlen gibt es wegen eines politischen Sprachenstreits zwischen Flamen und Wallonen. Die einfachen Bürger verstehen die politische Eskalation des Sprachenstreites in Belgien allerdings nicht.

Mittagsjournal, 12.06.2010

Sprachenstreit in Brüsseler Randgemeinden

Als die Fünfparteienregierung des flämischen Christdemokraten Yves Leterme frühzeitig das Handtuch warf, da war der jahrelange Streit um Französisch als zweite offizielle Sprache in den Randgemeinden der Hauptstadt Brüssel der Auslöser. Die Region gehört zu Flandern, wo ausschließlich Flämisch als Amtssprache erlaubt ist und anders als rund um Brüssel auch nur flämische Parteien kandidieren. Der kleinliche Volksgruppenstreit eskalierte im Wahlkampf zur Auseinandersetzung über die Zukunft des Landes selbst.

Wahlen: Rechtsextreme nicht vorn

Der erste Donnerschlag war ein Coup des rechtsextremen Vlaams Belang, der in einem unbewachten Augenblick im belgischen Parlament die Hymne Flanderns anstimmte. Das Ende Belgiens ist nahe, lautete die Botschaft. Aber nicht die Rechtsextremen dominieren den Wahlkampf.

Nationalistische Mitterechtspartei führt

Aber der große Star des Wahlkampfes war der Chef der Neuen Flämischen Allianz NVA Bart de Wever, einer separatistische Partei aus der politischen Mitte. Die NVA will aus Belgien einen Staatenbund der Regionen machen, der später zu einem unabhängigen Flandern führen soll.

Flamen Schritt für Schritt unabhängig machen

Bart de Wever ist sozusagen ein evolutionärer Separatist. Immer ohne Krawatte, jovial und schlagfertig gibt er Interviews, in Englisch, Französisch und Deutsch: "Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Hier wird es keine Revolution geben. Wir werden dem Prozess der Staatsreform den wir schon seit 30, 40 Jahren verfolgen, folgen. Ob ich ein Nationalist bin? Ich weiß, dass dieses Wort einen sehr pejorativen Geschmack hat. Aber wir sind Leute, die glauben, dass Flandern morgen in Europa eine unabhängige Position einnehmen kann."

Wallonie: Linke und Grüne hoffen auf Gewinne

Die Meinungsumfragen sehen De Wevers Neue Flämische Allianz bereits als erste Partei Flanderns, weit vor den bisher dominierenden Christdemokraten und Liberalen, die zwar Reform verlangen, aber an der Einheit Belgiens festhalten.

Während in Flandern traditionell rechte und bürgerliche Parteien den Ton angeben, geht die französischsprachigen Wallonie in die entgegensetzte Richtung, Sozialisten und Grüne hoffen in der Wallonie auf Gewinne.

Wallonen fürchten: Belgien am Scheideweg

"Wir glauben, dass wir an einem Scheideweg stehen.", so die alarmierende Botschaft der Chefredakteurin von Le Soir, der führenden französischsprachigen Tageszeitung, Beatrice Delvaux: "Die Spannungen werden immer größer und man hat das Gefühl, dass plötzlich alles sehr rasche gehen kann. Die Möglichkeit, dass der Separatismus siegt am Ende des Tages ist sehr real."

Effektive Staatsreform

Ganz anders die Einschätzung bei den flämischen Kollegen der Zeitung De Morgen. Der flämische Nationalismus wächst, das stimmt sagt Innenpolitikchef Yves de Met, aber es ist immer noch eine Minderheit: "Zurückgehen wird der Nationalismus erst, wenn es eine effektive Staatsreform gibt in Belgien, mit mehr Rechten für die Regionen." An ein unabhängiges Flandern in der nächsten Zukunft glaubt der flämische Journalist nicht. "Nicht in meiner Lebenszeit."

Sprachen für Durchschnittsbürger kein Problem

Am Brüsseler Wochenmarkt des Bezirkes Ixelles, wo die Verkäufer mühelos zwischen Französisch und Flämisch wechseln, hat man wenig Verständnis für die unvermutete Eskalation des Volksgruppenstreits. Karin de Baker verkauft Gaufres, die traditionellen belgischen Waffeln: "Das ist doch alles eine große Komödie der Politiker, so nehmen sie mich her, meine Mutter ist Wallonin, der Vater kommt aus Flandern, ich bin Brüsselerin und trage den flämischen Namen De Baker."

Sehr lange Regierungsbildung erwartet

Zumindest eines scheint sicher: die belgische Regierungsbildung wird nach dem sonntäglichen Wahltag eine ziemlich langwierige Angelegenheit. Das letzte Mal dauerten die Verhandlungen bis zu einem fixen Koalitionsvertrag gezählte 282 Tage.