Auf den Spuren des Gebetsrufes

Muezzin

Ein junger österreichischer Dokumentarfilmer hat sich in Istanbul auf die Spuren der Muezzins geheftet und zeigt die Gesichter und Geschichten, die hinter diesen geheimnisvollen Stimmen stecken. Sein Film heißt einfachheitshalber "Muezzin" und läuft diese Woche in den österreichischen Kinos an.

Kultur aktuell, 15.06.2010

Ruf bleibt unverändert

Knapp 3.000 Moscheen gibt es in Istanbul, jede mit ihrem eigenen Muezzin, der gleichzeitig auch der Imam der Moschee, also ihr Vorbeter sein kann. "Eilt zum Gebet, eilt zur Seeligkeit", fordert er die Gläubigen mit seinem Ruf auf. Regisseur Sebastian Brameshuber: "Der Text des Gebetsrufes bleibt immer gleich, fünf Mal am Tag. Es gibt nur in der Früh, für den ersten Gebetsruf, eine Extrazeile und die lautet, 'Das Gebet ist besser als der Schlaf'."

Zweieinhalb Jahre lang hat Brameshuber für seinen Film in Istanbul gelebt und dort ausführlich recherchiert. Erstaunt war er über die Offenheit seiner Interviewpartner. Er bekam Einblicke in ihr Privatleben und sogar die Erlaubnis während der Gebetsrufe in den Moscheen zu filmen. In der Türkei, erzählt er, seien die Muezzin Staatsbeamte. Trotz der einheitlichen Verwaltung kann es zwischen ihnen aber - vor allem, wenn die Moscheen knapp beieinander liegen - zum Konkurrenzkampf kommen. "Für den Muezzin ist es wichtig, dass der Muezzin der Nachbarmoschee ausgestochen wird", so Brameshuber. "Sei es, dass man später anfängt oder lauter aufdreht oder sich durch die Tonlage abhebt. Gerade letzteres deutet auch darauf hin, dass sich der Muezzin ja eigentlich als Künstler versteht."

Prestigeträchtiger Sieg

Dem musikalischen Aspekt kommt in der Türkei eine besondere Bedeutung zu. Die Muezzin werden in eigenen Schulen ausgebildet, später gibt es auch Lehrgänge zur Fortbildung. Die besten Muezzin werden schließlich in einem Wettbewerb gekürt. Brameshuber begleitete mehrere Teilnehmer von den Vorausscheidungen bis zum großen Finale. Der Sieg ist äußerst prestigeträchtig. Der Gewinner wird häufig von einer der großen Moscheen angestellt, ein frühes Ausscheiden bedeutet hingegen einen schmerzhaften Gesichtsverlust.

"Da im osmanischen Reich die Verbindung von Musik und Moschee sehr stark war und Muezzin auch häufig Komponisten waren, gibt es in der Türkei einen direkteren Zugang", erläutert Brameshuber. "Und das wird in anderen muslimischen Ländern, vor allem in Arabien, auch belächelt, dass die Türken dem musikalischen Aspekt des Gebetsrufes so eine große Bedeutung beimessen."

Muezzin vom Band

Der landesweite Sieger, der Muezzin einer kleinen Moschee aus einem Istanbuler Vorort, sieht die Sache pragmatisch. Für ihn bedeute Erfolg, möglichst viele Menschen zum Gebet in seine Moschee zu bringen. Im arabischen Abu Dhabi wurde der Gebetsruf übrigens vereinheitlicht. Dort dringt aus allen Moscheen per Lautsprecher der Ruf eines einzigen Muezzin. Eine Neuerung, die in Istanbul undenkbar wäre.

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