Kunst und Wirklichkeit

6. Berlin Biennale

Wie die vergangenen Berlin Biennalen, die sich immer auch mit der Berliner Stadtgeschichte auseinandergesetzt haben, lädt die diesjährige Biennale zu einem Streifzug durch den urbanen Raum ein. Diesmal ist der Westen der Stadt das Zentrum.

Kulturjournal, 17. 06.2010

2010 präsentiert sich die Ausstellung frei von DDR-Patina. Denn die österreichische Kuratorin Kathrin Rhomberg hat den Westen der Stadt als zentralen Schauplatz der Ausstellung ausgewählt.

An sechs verschiedenen Ausstellungsorten zeigt die Biennale 45 Künstler aus der ganzen Welt. Damit präsentiert sich die Schau heute - anders als die Erste Berlin Biennale im Jahre 1998 - nicht nur als Schaufenster der sehr lebendigen Berliner Kunstszene.

Kuratorin Kathrin Rhomberg will unter dem Titel "was draußen wartet" einen Beitrag zu internationalen Kunstdiskussionen leisten und in Zeiten der Krise das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit ausloten.

Sprechchöre, Menschen, die aufgebracht in ein Megaphon brüllen, ein Wald aus Fahnen und Transparenten. Die Grand Nation ist für ihre stark ausgeprägte Demonstrationskultur bekannt. Wann immer den Franzosen etwas nicht passt, machen sie ihrem Ärger lautstark Luft und gehen auf die Straße: gegen die Pariser Wohnungsnot, gegen Alltagsrassismen, oder ganz allgemein gegen die da oben.

Wie wirklich ist die Kunst?

Der französische Künstler Bernard Bazile dokumentiert seit den 1990er Jahren Pariser Protestmärsche und holt mit seiner Videoinstallation die Auseinandersetzungen der Straße in den White Cube. Bazile ist bei der diesjährigen Berlin Biennale nicht der einzige, der sich künstlerisch mit dem Thema Widerstand im öffentlichen Raum auseinandersetzt. Seine Künstlerkollegin Minerva Cuevas zum Beispiel hat der mexikanischen Opposition eine Videoarbeit gewidmet.

Es sind künstlerische Positionen wie diese, die das Kunstpublikum am vergangenen Eröffnungswochenende der Berlin Biennale zu einer immer wieder auftauchenden Frage verleiten: Was hat das mit Kunst zu tun? Agitatorisch, oder platt lautet ein häufig geäußertes Kritikerurteil. Tatsächlich verschwimmt in der Ausstellung der diesjährigen Berlin Biennale immer wieder die Grenze hin zum Dokumentarischen, was sich vielleicht auch darin zeigt, dass ein Schwerpunkt auf Videoarbeiten liegt, während die Malerei kaum präsent ist.

Kuratorin Kathrin Rhomberg hat Künstler eingeladen, sich mit der Aneignung und Produktion der so genannten Wirklichkeit auseinandersetzen. Dass dazu auch die politische Wirklichkeit gehört, versteht sich von selbst. Rhombergs kuratorisches Konzept ist programmatisch und richtet sich gegen eine Kunst, die um sich selber kreist, gegen eine Kunst, die sich mit formalen Fragestellungen begnügt. In Zeiten der Finanzkrise sei der Blick auf die Wirklichkeit unabdingbar, sagt Kathrin Rhomberg.

"Wenn eine Gesellschaft mit Krisen konfrontiert war, – auch in den 1920er Jahren zum Beispiel – wurde auf einmal diese Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit wieder virulent. Das ist ein bisschen die These der Berlin Biennale, dass vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Krisen das Verhältnis von Kunst u Wirklichkeit eigentlich geschärft werden könnte.", sagt Kathrin Rhomberg.

Kathrin Rhomberg hat sich in den 1990er Jahren als Kuratorin der Wiener Secession einen Namen gemacht. Für großes Aufsehen sorgte sie hierzulande, als sie das Traditionshaus am Wiener Naschmarkt 1998 rot anstreichen ließ. Auch damals ging es ihr ganz offensichtlich um Kunst, die in den öffentlichen Raum ausstrahlt. Die letzten zwei Jahre hat die gebürtige Vorarlbergerin Kathrin Rhomberg in Berlin verbracht, hat Ateliers besucht und sich mit der lokalen Szene vertraut gemacht. Für die Kuratoren der Berlin Biennale eine absolute Pflichtübung. Schließlich ist die Wahl der Ausstellungsorte alle zwei Jahre wieder nicht nur in den lokalen Medien ein großes Thema.

Im Westen nichts Neues?

Im Westen nichts Neues", so könnte das Motto der diesjährigen Berlin Biennale lauten, zumindest wenn man den Urteil mancher Kritiker Recht geben will, die davon sprechen, dass bei der Biennale nur wenige Überraschungen zu entdecken seien. Wer sie entdecken will, der muss in diesem Jahr jedenfalls in den Westen pilgern. Nachdem vor vier Jahren das Galerienviertel rund um die Auguststraße im ehemaligen Osten Schauplatz der Biennale gewesen ist und vor zwei Jahren unter anderem ein Skulpturenpark am ehemaligen Mauerstreifen eingerichtet worden ist, hat sich Kathrin Rhomberg für den westlichen Teil der Stadt als Schwerpunktgebiet entschieden.

"Mir wurde sehr bald klar, dass der Westen sehr interessant wäre. Wir haben dann in Charlottenburg und Schöneberg recherchiert und sind schließlich in Kreuzberg gelandet weil sich dort dieses großartige Gebäude aufgetan hat, aber es war nicht von Anfang an Kreuzberg im Visier, sondern der Westen. Für mich war es wichtig, die Veränderungen, die der Westen erfahren hat, die wir eigentlich in dieser Diskussion der 1990er Jahre gar nicht so wahrgenommen haben, in den Blick zu nehmen.", sagt Kathrin Rhomberg.

Aufwertung: Für die, die es sich leisten können?

Die Entscheidung für das migrantisch geprägte Kreuzberg, eine ehemalige Hochburg der 68er-Bewegung und der Alternativkultur, ist in Berlin selbst allerdings nicht unumstritten. Das Schlagwort, um das die Diskussion kreist, lautet Grentrifizierung, also um eine urbane Aufwertung, die durch die Präsenz von Künstlern und Kreativen losgetreten wird. Eine Aufwertung, die allerdings nur für jene da ist, die es sich leisten können.

Mit diesen Worten bringen es Aktivisten auf den Punkt, die vor den Kreuzberger Ausstellungsorten der Biennale schon kurz nach der Eröffnung Protestplakate affichiert haben. Denn nachdem in den ehemaligen Ostbezirken Berlin Mitte und Prenzlauer Berg die Mieten längst gestiegen sind, ist die Kunstkarawane weitergezogen. Nach Kreuzberg zum Beispiel, das aktuellen zu den heiß umkämpften Stadtgebieten Berlins zählt. Ist Kreuzberg also eine unglückliche Wahl? Der österreichische Künstler Hans Schabus, der mit zwei Arbeiten am Oranienplatz vertreten ist, verteidigt das kuratorische Konzept Kathrin Rhombergs:

"Ich sehe es als Aufgabe der Kunst dorthin zu gehen, wo Reibung passiert nicht zuletzt sind das diese interessanten Orte wie jetzt Kreuzberg, wo einfach bestimmte Reibungsflächen da sind.", sagt Hans Schabus.

Stöbern im DDR-Themenpark

Hans Schabus gehört zu jenen Künstlern der diesjährigen Biennale, die dazu beitragen, dass auch in diesem Jahr ein Stück der untergegangenen DDR in der Ausstellung präsent ist. Im Hof eines ehemaligen Kaufhauses am Oranienplatz hat Schabus zwei riesige Skulpturen aufgestellt, die aus dem einst größten Vergnügungspark der DDR stammen. Passenderweise handelt es sich um die enthauptete Dinosaurierfiguren, die Schabus aus dem brachliegenden Gelände des Themenparks geborgen hat. Symbolhaft stehen sie wohl für ein untergegangenes Land.

Diesem nähert sich auch der schottische Künstler Phil Collins, der mit dem gleichnamigen Rockmusiker nichts zu tun hat. Collins hat Lehrer, die in der ehemaligen DDR marxistische Theorie unterrichtet haben, aufgesucht und sie über ihr Leben nach dem Zusammenbruch der DDR befragt. Collins Dokumentation ist ein Stück Oral History, das die Geschichte der Wendeverlierer erzählt.

Was diese Geschichte mit der Gegenwart zu tun hat, der sich die 6. Berlin Biennale nähern will? Vielleicht eine Art Suche nach politischen Alternativen, die mit dem Zusammenbruch des Ostens verschwunden sind. Schließlich erfreut sich Karl Marx "Kapital", so der Hinweis des Künstlers, in den letzten Jahren steigender Auflagen.

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