Ruf nach Reformen
Koalitionsstreit um Höchstrichterin
Die Wahl einer Verfassungsrichterin zur Aufsichtsratschefin der ASFINAG löst eine Debatte über Unvereinbarkeitsregeln für die Höchstrichter aus. Die Opposition sieht im ASFINAG-Posten für die Höchstrichterin einen massiven Interessenskonflikt und ruft nach Reformen. Die ÖVP verlangt einen Rückzieher, die SPÖ ist dagegen.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 25.06.2010
Massive Unvereinbarkeit
Selten sind sich FPÖ, Grüne und BZÖ so einig wie in diesem Fall: Dass die Verfassungsrichterin Claudia Kahr an die Spitze des Aufsichtsrats der staatlichen Autobahngesellschaft ASFINAG gewählt worden ist, darin sehen alle drei Oppositionsparteien eine massive Unvereinbarkeit. Harald Stephan, Verfassungssprecher der FPÖ: "Auch wenn es formalrechtlich nicht so ist, aufgrund der politischen Besetzung und der Stellung der ASFINAG in der österreichischen Wirtschaft halte ich das für unvereinbar."
Österreichische Verfassungsrichter
Der österreichische Verfassungsgerichtshof besteht aus 14 Richterinnen und Richter, sie verdienen zwischen 7.000 und 14.000 Euro im Monat. Ein Berufsverbot, wie für Minister, gilt für sie nicht.
Staat und staatliches Unternehmen
Daniela Musiol, Verfassungssprecherin der Grünen: "Es kann nicht sein, das jemand in einem Unternehmen im Aufsichtsrat sitzt, das mit großer Wahrscheinlichkeit auch Gegenstand eines Prüfverfahrens beim Verfassungsgerichtshof werden könnte."
Auch BZÖ-Justizsprecher Ewald Stadler hat Bedenken: "Es handelt sich bei der ASFINAG um ein staatliches Unternehmen. Ich halte es nicht für vereinbar, dass jemand gleichzeitig den Staat kontrollieren und in Organen staatlicher Unternehmen tätig sein kann." Stadler fordert daher: "Wenn die Verfassungsrichter so weit sind, dass sie selber nicht mehr ihr eigene Unvereinbarkeit wahrnehmen, dann müssen wir Unvereinbarkeitsbestimmungen in das Verfassungsgerichtshofgesetz aufnehmen, die über die festgeschriebene Interkalarfrist (Zeitraum zwischen Auszeichnungen, Anm.) hinausgehen."
Hauptberuf Verfassungsrichter
Für neue Unvereinbarkeitsregeln für die 14 österreichischen Verfassungsrichter treten auch die Grünen und die FPÖ ein, die Freiheitlichen fordern außerdem, "dass nicht mehr in Sessionen getagt wird, also Verfassungsrichter nicht mehr nur im Nebenberuf Verfassungsrichter sind und sich viermal pro Jahr für drei Wochen treffen. Sondern sie sollen ständig tagen und ständig Verfassungsrichter sein. Dann würde sich diese Frage der Unvereinbarkeit gar nicht stellen", sagt Harald Stephan.
Mittagsjournal, 25.06.2010
Bures rechtfertigt sich
Der Hintergrund des Streits: SPÖ und ÖVP liefern einander Machtkämpfe um ÖBB und ASFINAG. Für beide Unternehmen ist Verkehrsministerin Doris Bures (SPÖ) politisch zuständig. Bures rechtfertigt im Ö1-Mittagsjournal ihre Entscheidung: Es sei gelungen, eine Top-Juristin und Verkehrsexpertin für den Aufsichtsrat zu gewinnen. Was die ÖVP stört sei offenbar, dass sie kein ÖVP-Mitglied und kein Mann sei, so Bures. Nun werde mit Unvereinbarkeiten argumentiert, die bisherige keine Rolle gespielt hätten.
Molterer: Nominierung zurückziehen
ÖVP-Verfassungssprecher Wilhelm Molterer hingegen bekräftigt, dass ein Verfassungsrichter kein Organ einer Kapitalgesellschaft sein dürfe. Molterer sagt, erwarte, dass Bures die Nominierung Kahrs zurückzieht und kündigt für kommenden Montag einen Gesetzesentwurf an. Gerade bei Straßenbauverfahren müsse das Höchstgericht häufig entscheiden, so Molterer im Ö1-Mittagsjournal.
Experte: Änderung überfällig
Für den Verfassungsrechtler Heinz Mayer ist eine solche Änderung überfällig: "Das ist ein sinnvoller Weg, das hätte man schon längst tun müssen." So müssten schon bisher Verwaltungsbeamte außer Dienst gestellt werden, wenn er als Höchstrichter tätig wurde.