Mein sportliches Tagebuch

Auch Flucht bedeutet Bewegung

Ich habe es wirklich versucht. Beinhart versucht. Aber Sport hat immer mit Schmerzen und Entsagung zu tun, und ich bin einfach nicht der Typ für Schmerzen und Entsagung. Jetzt schüttelt mir eine Maschine Blut, Fett, Muskeln und Hirnzellen durch.

Mein sportlicher Ehrgeiz beschränkt sich seit etwa 30 Jahren darauf, vor dem Sport davonzulaufen. Ich mache große Bogen um Fitnesscenter (plus 200 Meter Extraweg täglich) und sehe ich doch eines, schaue ich konsequent in die andere Richtung (Nackenmuskulatur wird gestärkt).

Zwischendurch werde ich aber doch schwach. Rückenschmerzen, Übergewicht, allgemeine Schlaffheit sind unangemessen bei Menschen unter 40, überlege ich, wenn eine Bandscheibe anklopft.

Da waren also Turnen und Rückengymnastik. Der Geruch der Turnsäle katapultierte mich in eine traumatische Zeit meines frühen Lebens, in der ich Zirkeltrainings absolvieren, sinnlose Runden bis zum Seitenstechen laufen und auf Seile klettern musste. Hätte müssen. Ich hing daran wie ein Erdäpfelsack. Beim Bockspringen fiel ich mitsamt Bock um. Beim Durch-die-Turnbank-Robben blieb ich stecken. Beim Weitsprung übertrat ich sooft, bis ich disqualifiziert wurde. Beim Völkerball war ich immer die Letzte, die gewählt wurde. Am Stufenbarren überkam mich Panik. Eine Chronologie des Schreckens.

Am Ende der 8. Klasse war ich die abgefeimteste Entschuldigungsschreiberin der Schule. Ich litt an Schwindelanfällen und höchst unregelmäßigen Monatsblutungen. So alle zwei bis drei Wochen. Die Melange aus Schweiß und Gummimatten jedenfalls rief Bilder hervor, die ich zu vergessen gehofft hatte.

Kein Turnen, keine Gymnastik. Flucht.

Ich probierte es mit Bauchtanzen, aber außer meinem Bauch bewegte sich nicht viel. Versuchte Ashtanga-Yoga, weil alle Yoga so super finden. Ich hasse Yoga. Es ist anstrengend, meine Nackenmuskel verhärten sich, ich bekomme Kopfweh. Der Yogalehrer schritt wie ein General durch die Reihen und fragte mich Sachen wie: "Hast du die Käferbohnen-Übung schon drei Mal gemacht?" Und ich sagte immer: "Ja." Bis meine Nachbarin meinte: "Aber das stimmt ja gar nicht. Sie hat die Käferbohnen-Übung nur ein Mal gemacht". Ich verzichtete auf Sonnen- und Mondgebete, Krakenpositionen und andere Tierstellungen und ließ mir die Nackenschmerzen um teures Geld wegmassieren. Flucht.

Dann eben kein Sport, aber zumindest Bewegung, sagen Expertinnen und Experten (also alle) meiner Umgebung.

Ich entdeckte Power Plate. Mein erster Termin sollte in einem Kämmerchen in der Wiener Neubaugasse stattfinden. "Wir haben einen Termin", sagte ich schüchtern. "Das glaube ich nicht", antwortete der schlabbrige Trainer. Ich ging wieder, überlegte kurz Fußball zu schauen und Spaghetti Carbonara zu essen, blieb aber standhaft. Ich suchte mir ein seriöses Studio. Da vibriere ich nun zwei Mal in der Woche und spüre, dass ich Muskeln habe.

"Ein Ausdauertraining ersetzt das nicht", sagt der Coach. Was musste ich lachen. Als ob ich irgendwann Ausdauertraining machen würde.

Inzwischen wenden sie aber gemeine Tricks an. Beim Training bekomme ich Wadenkrämpfe, neben mir nickt eine Frau verständnisvoll. Es ist normal, Wadenkrämpfe zu bekommen? Und wie um alle Welt soll ich mit einem Wadenkrampf flüchten?