Berufsheer wäre billiger
Experte für Abschaffung der Wehrpflicht
Der Militärexperte Gerald Karner stellt die allgemeine Wehrpflicht in Österreich infrage. Eine Verteidigungsfähigkeit Österreichs im klassischen militärischen Sinn sei nicht mehr notwendig, sagt der ehemalige Bundesheer-Brigadier im Ö1-Morgenjournal. Ein Berufsheer wäre, nach einem größeren Finanzaufwand zu Beginn, langfristig kostengünstiger.
8. April 2017, 21:58
Flexiblere Einsätze
Karner erwartet, dass das Thema spätestens nach der nächsten Wahl wieder auf den Tisch kommen wird. "Eine Verteidigungsfähigkeit Österreichs im klassischen militärischen Sinn ist ja nicht notwendig, die Bedrohung des Kalten Krieges ist vorbei." Ein Berufsheer wäre flexibler einsetzbar, so könnten Auslandseinsätze auf Weisung der Regierung oder auf Beschluss des Parlaments angeordnet werden.
"Verteidigungsfähigkeit nicht mehr nötig"
Militärexperte Gerald Karner im Ö1-Morgenjournal-Gespräch mit
"Politisch-ethische Frage"
Der mit der Wehrpflicht verbundene Zivildienst müsste mit der Abschaffung der Wehrpflicht nicht unbedingt fallen, meint Karner. In anderen Ländern bezahle der Staat die Sozialdienste in anderer Form. Es sei eine politisch-ethische Frage, inwieweit sich der Staat über die allgemeine Wehrpflicht sich billige Hilfskräfte schaffen soll oder darf. Das sollte diskutiert werden, so Karner: ""Die allgemeine Wehrpflicht beruht ja im Prinzip auf dem Grundsatz, dass sofern es eine militärische Gesamtbedrohung gibt, der Staat das ethische Recht hat, die gesamte männliche Bevölkerung zum Wehrdienst zu verpflichten. Wenn jetzt diese Gesamtbedrohung wegfällt, dann steht aus meiner Sicht dieses politisch-ethische Recht in Frage."
Rascher Umstieg derzeit zu teuer
Der Umstieg auf ein Berufsheer wäre auch nur mit einem vorübergehend größren Finanzaufwand machbar, sagt Karner: Es gebe Studien, die nachzuweisen versuchen, dass ein Berufsheer langfristig günstiger ist als eine Wehrpflicht. Kurzfristig wären aber Investitionen nötig, weshalb Karner bezweifelt, dass unter der gegenwärtigen Budgetsituationen ein rascher Umstieg auf ein Berufsheer möglich sein könnte. "Wenn man nur mehr uniformierte Hilfskräfte haben will, worauf ja derzeit einiges hindeutet, könnte man ja natürlich auch ohne wesentliche Mehrkosten auf ein Berufsheer übergehen. Ich glaube nur nicht, dass das der richtige Weg für Österreich wäre", so Karner.
Militär- und Businesskarriere
Gerald Karner ist ehemaliger Brigadier im österreichischen Bundesheer, gilt als Militärexperte und berät als Partner bei HILL Communications Unternehmen und Organisationen in strategischer Planung.
Ausländische Beispiele
Anfang Juli hat das neutrale Schweden die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft. Erstens, weil sich nach dem Ende des Kalten Krieges die Sicherheitslage völlig verändert hat und es den Schweden heutzutage unsinnig erscheint, ein paar Hundertausend Reservisten für den Fall einer sowjetischen Invasion bereit zu halten. Und zweitens, weil in Schweden der Staat sparen muss. Seit das Tabu der Wehrpflicht in Schweden gefallen ist, wird auch in der ebenfalls neutralen Schweiz ernsthaft über eine Abschaffung diskutiert. In Österreich hat sich bisher noch keine Regierung über das heikle Thema getraut.
Morgenjournal, 07.07.2010
Debatte in Deutschland
Österreich ist einer der letzten EU-Staaten, in denen es die allgemeine Wehrpflicht für Männer noch gibt. Sonst gibt es sie nur noch in Finnland, Estland, Griechenland, Zypern und in Deutschland, wo aber heftig über eine Abschaffung diskutiert wird.
Stetiger Abbau
Eingeführt wurde die allgemeine Wehrpflicht in Österreich nach dem Staatsvertrag 1955. Die Dauer wurde von ursprünglich neun Monaten in den 1970er Jahren auf acht Monate verkürzt, 2006 noch einmal auf sechs Monate. 240.000 Mann zählte das Bundesheer zu seiner stärksten Zeit. Nur zehn Prozent waren Berufssoldaten. Heute gibt es nur mehr wenige Milizsoldaten, Truppenübungen wurden gestrichen.
Matte Politdebatte
Die Wehrpflicht ist in der Verfassung verankert und könnte nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat geändert werden. Dafür gibt es derzeit keine Anzeichen. Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) hat vor kurzem signalisiert, dass es unter seiner Amtsführung kein Berufsheer in Österreich geben werde. ÖVP und FPÖ sind für die Beibehaltung der Wehrpflicht, BZÖ und Grüne für deren Abschaffung.
Übersicht
- Verteidigung