Welche Mechanismen führen zu Krisen?

Eine kurze Geschichte der Spekulation

Als bissige, höchst vergnüglich zu lesende Lektion in Sachen menschlicher Dummheit und Unbelehrbarkeit gilt das Buch des Ökonomen John Kenneth Galbraith, das er 1990 veröffentlichte. An Aktualität hat es leider nichts eingebüßt.

Boom, Crash und Katzenjammer

Es ist immer das Gleiche: Erst zockt eine Masse hysterisierter Anleger wie verrückt, dann folgt der große Katzenjammer. In seiner "Kurzen Geschichte der Spekulation" zeichnet John Kenneth Galbraith auf amüsante Weise nach, wie das verhängnisvolle Wechselspiel von Boom und Crash seit Jahrhunderten funktioniert.

In seinem historischen Streifzug geht Galbraith weit zurück in die Geschichte - bis zur niederländischen Tulpenhysterie der 1630er-Jahre, die es zu einschlägiger Berühmtheit gebracht hat. Die schwungvolle Spekulation mit Tulpenzwiebeln, im 17. Jahrhundert eine floristische Innovation, trieb die Preise auch für ordinärste Tulpen in phantastische Höhen: Im Februar 1637 erzielte man auf dem Blumenmarkt von Alkmaar 90.000 Gulden für 99 Posten Tulpenzwiebeln. Zum Vergleich: Ein Schiffszimmermann kam damals auf ein Jahreseinkommen von gerade einmal 250 Gulden.

Manien mit System

Anhand vieler historischer Beispiele arbeitet John Kenneth Galbraith in seinem Buch die Mechanismen spekulativer Manien heraus, zu denen es seit der Erfindung des Kapitalismus zu Beginn der Neuzeit immer wieder gekommen ist. Galbraith schreibt:

Ob Tulpen in Holland oder Gold in Louisiana, ob Immobilien in Florida oder die erstaunlichen Wirtschaftspläne Ronald Reagans: Durch irgendein Produkt oder eine Entwicklung, scheinbar neu oder erstrebenswert, wird der wirtschaftliche Verstand oder das, was man dafür hält, eingelullt. Der Preis für das Spekulationsobjekt steigt. Wertpapiere, Grundstücke, Kunstwerke und andere Besitztümer, die heute erstanden werden, sind morgen mehr wert. Dieser Anstieg lockt weitere Käufer an; die neuen Käufer sichern einen weiteren Anstieg. Aber immer mehr werden angelockt, immer mehr kaufen, der Anstieg setzt sich fort. Die Spekulation entwickelt ganz von selbst eine Eigendynamik.

So entstehen Spekulationsblasen: Auch unerfahrene Anleger wollen, wie tausende andere zuvor, zu anstrengungslosem Reichtum kommen. Sie kaufen, oft auf Kredit, Tulpenzwiebeln, Aktien, was auch immer - und hoffen, dabei einen guten Schnitt zu machen.

Irgendwann finden sich allerdings, wie bei einem Pyramidenspiel, keine weiteren Käufer mehr, die das jeweilige Produkt zu noch höheren Preisen erwerben wollen. Das Resultat: Die Blase platzt.

Ein fester Bestandteil dieses Szenarios ist der unvermeidliche Zusammenbruch. Er tritt nicht sanft oder allmählich ein. Wenn er kommt, zeigt er die Züge einer Katastrophe ... Irgendetwas, meistens eine Kleinigkeit, löst die Umkehr aus. Und die Regel, die durch die Erfahrung von Jahrhunderten gestützt wird, lautet: Die Spekulation endet nie verhalten, sondern immer mit einem Knall.

Plötzlich wollen alle verkaufen. Von einer Sekunde auf die andere ist das gestern noch hochgeschätzte Produkt nichts oder so gut wie nichts mehr wert.

Kein Lerneffekt?

John Kenneth Galbraith rekapituliert in seinem Buch einige der berühmtesten Spekulationskatastrophen der Geschichte: die Hysterie um die sogenannte Mississippi-Kompanie in Paris 1720, die "Südsee-Blase" in London, die Börsenpaniken von 1873, den "Schwarzen Freitag" von 1929, der eigentlich ein schwarzer Donnerstag war, und den Crash von 1987, der Galbraith zufolge eine direkte Folge der Reaganschen Wirtschaftspolitik war.

Man kann sich natürlich fragen: Warum kommt es immer wieder zu solchen Finanz-Katastrophen, wenn die Mechanismen, nach denen sie ablaufen, seit Jahrhunderten bekannt sind? John Kenneth Galbraith zufolge hat das einen einfachen Grund.

Auf dem Feld der Wirtschaft herrscht ein extrem kurzes Gedächtnis. Finanzielle Pleiten werden einfach schnell vergessen. Außerdem werden gleiche oder weitgehend ähnliche Umstände, wenn sie sich manchmal schon nach wenigen Jahren wieder einstellen, von einer neuen, oft jungen und immer sehr selbstbewussten Generation allgemein als geniale Entdeckung in der Welt der Finanzen und der Wirtschaft gepriesen. Es gibt nur wenige Bereiche menschlichen Handelns, in denen die Geschichte so wenig zählt wie in der Welt des Geldes.

Gewinner und Verlierer

Ein weiterer wichtiger Aspekt: Bis zum Platzen einer Blase verdienen sich tausende, zehntausende eine goldene Nase - ein unwiderstehlicher Anreiz, die alten Fehler immer von neuem zu wiederholen. Schließlich gehen die meisten Zocker davon aus, das sie zu den Profiteuren gehören werden, während die Kosten des Wahnsinns von anderen getragen werden. Und genauso funktioniert es ja auch: Einige werden reich, die anderen blechen.

John Kenneth Galbraith weist in seinem Buch auf ein wichtiges Prinzip hin: Was schnöselige Jungbroker für neu und innovativ halten mögen, folgt letztlich einem uralten Prinzip der Übertreibung, erst nach oben, dann nach unten. Wobei auf dem Weg nach unten leider schwere volkswirtschaftliche Kollateralschäden zu beklagen sind. Und das ist das eigentliche Problem. So hat der Börsenkrach von 1929 bekanntlich die katastrophale Depression der 1930er Jahre hervorgerufen.

Wiederholungen absehbar

Ob die Wirtschafts- und Finanzkrise der Jetztzeit ähnlich zerstörerische Wirkungen entfalten wird, lässt sich schwer vorherzusagen. John Kenneth Galbraith jedenfalls hat in seiner 1990 erstmals erschienenen "Kurzen Geschichte der Spekulation" weitere schwere Finanzkrisen prognostiziert. Einer der Gründe dafür ist seiner Meinung nach:

Das Gedächtnis in Finanzdingen reicht höchstens zwanzig Jahre zurück. Das ist normalerweise der Zeitraum, der notwendig ist, die Erinnerung an eine Katastrophe zu tilgen und irgendeiner Abart des alten Schwachsinns die Chance einzuräumen, erneut den ökonomischen Verstand zu übertölpeln. Es ist auch der Zeitraum, der normalerweise nötig ist, bis eine neue Generation die Szene betritt, die, wie ihre Vorgänger, von der eigenen Genialität überzeugt ist.

Galbraith ist Realist: Solange unser Wirtschaftsleben nach kapitalistischen Prinzipien organisiert ist, wird es immer wieder - unvermeidlich - zu Spekulations-Exzessen kommen. Daran werden auch Bankenabgaben, Spekulationssteuern und ähnliche Regulierungsmaßnahmen wenig ändern.

Man könne Profitgier und finanzielle Leichtgläubigkeit, schreibt Galbraith, durch gesetzliche Regelungen nicht unterbinden. Das einzige, was man tun könne: sich bemühen, die Mechanismen der Spekulation zu verstehen. Galbraiths Buch bietet erstklassige Instrumentarien dazu.

Service

John Kenneth Galbraith, "Eine kurze Geschichte der Spekulation", aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Rhiel, Eichborn-Verlag

Eichborn