Verfassungsgericht kritisierte Autonomiestatut

Tauziehen um Kataloniens Selbstbestimmung

Der Ärger über den Urteilsspruch der Verfassungsrichter hat Kataloniens Nationalisten unterschiedlicher Couloirs geeint. Sie sind nicht bereit, auf ihre Rechte zu verzichten, und haben für Samstag zu einer Kundgebung zur Verteidigung der Autonomie aufgerufen.

"Wir sind eine Nation."

Josep Montilla (PSOE), Kataloniens Regierungschef

Sprachpolitik mit Bevorzugung

Vier Jahre brauchte das Verfassungsgericht in Madrid, um über einen Einspruch der Volkspartei zu urteilen, die gegen Kataloniens geltendes Autonomiestatut geklagt hatte. Nach der langen Wartezeit fiel der Spruch der Höchstrichter dünn aus: zwar wird das von den Betreibern als Kataloniens "Verfassung" bezeichnete Statut zum Großteil gebilligt, 14 der über 200 Artikel sind allerdings nicht mit der Konstitution Spaniens vereinbar, urteilten die Richter.

Es sein nicht verfassungskonform, einer der beiden offiziellen Sprachen den Vorrang zu geben - immer noch sei das Spanisch dem Katalanischen ebenbürtig. In der Praxis dürfte es schwer fallen, diese Forderung umzusetzen.

Die katalanische Regierung regelt den Schulunterricht: Eltern, die die Erziehung ihrer Kinder in der spanischen Sprache wünschen, werden nicht fündig - Katalanisch ist in den Schulen, an den Universitäten und bei den Behörden längst die dominierende Sprache.

Viele in Katalonien lebende Spanier beklagen, ihre Mutterspreche sei aus dem öffentlichen Leben "ausgeschlossen" worden. Kaufleuten oder Restaurantbesitzern drohen Geldstrafen, wenn sie bei der Beschilderung ihrer Auslagen oder beim Abfassen der Menükarte nicht Katalanisch verwenden.

Umstrittene Begriffe

Die Sprachpolitik ist nicht der einzige Kritikpunkt der Verfassungsrichter. Sie stellen in ihrem Spruch jenen Begriff in Frage, der den Nationalisten besonders am Herzen liegt: in der Präambel des umstrittenen Autonomiestatuts bezeichnen sie ihr Land als "katalanische Nation in Spanien". Die Höchstrichter merken an, dass es sich um eine rhetorische Formel "ohne politische Relevanz" handle.

Das lässt sich der Chef der Republikanischen Linkspartei ERC Kataloniens nicht gefallen. Joan Puigcercos sagt, "Spanien und dessen Verfassungsgericht gehören der Vergangenheit an. Wir wollen einen neuen Staat, ein unabhängiges Katalonien schaffen."

Territoriale Einheit in Gefahr

Eigenständiger Staat, Nation innerhalb Spaniens, Region in Europa - jede Definition birgt Zündstoff. Die Forderung nach Selbständigkeit vom Machtzentrum in Madrid, die der Kultur und Geschichte Kataloniens Rechnung trägt, ist nicht neu.

Spaniens Volkspartei (PP) bekämpft die drohende Erosion der Einheit des Staates. Die Konservativen werfen Premierminister Zapatero vor, durch seine Politik der kleinen Zugeständnisse eine Staatskrise ausgelöst zu haben.

Kataloniens Regierungschef sucht den Ausgleich zwischen radikalen Separatisten, die seine Minderheitsregierung unterstützen und den gemäßigten Katalanen. Josep Montilla ist Vorstandmitglied der sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) von Premierminister Zapatero, einer Partei, die die territoriale Einheit Spaniens in ihren Statuten verteidigt.

Dennoch ist Montilla von den Verfassungsrichtern enttäuscht: "Kein Gericht kann über unsere Gefühle und unseren Willen urteilen. Wir sind eine Nation."

Eine Flagge, zwei Sprüche

Der Ärger über den Urteilsspruch der Verfassungsrichter hat Kataloniens Nationalisten unterschiedlicher Couloirs geeint. Für den Samstag haben sie in Barcelona eine Kundgebung organisiert und sich - nach langen Diskussionen - auf ein gemeinsames Motto geeinigt. Unter der katalanischen Flagge werden auf zwei Spruchbändern ihre Forderungen zusammengefasst. "Wir sind eine Nation" wird auf dem einen stehen und "Wir entscheiden" auf dem anderen.

Womit die Veranstalter der Kundgebung nicht gerechnet hatten: Dass das spanische Nationalteam das Endspiel der Fußball-WM 2010 in Südafrika erreichen würde. Seit dem Siegeszug der von den Fans als "rote Furie" bezeichneten Elf erlebt die rot-gelb-rote Flagge mit dem Wappen der Monarchie eine unerwartetes Comeback.

Auch in den Straßen katalanischer Städte ist das Symbol des spanischen Zentralstaates wieder öfter zu sehen. Schon warnte ein nationalistischer Politiker, die Fußballbegeisterung der Katalanen könnte größer sein, als ihr Nationalgefühl.