Partnerschaften im Visier der Mathematik

Ökonomie der Liebe

Zwischenmenschliche Verbindungen, bei denen am Anfang nicht wirtschaftliche Überlegungen, sondern romantische Gefühle stehen, nennen Erich Becker-Boost und der Ökonom Harald Klien "Unvernunft-Ehen". Ihr neues Buch unternimmt eine "Vermessung der Gefühle".

Finanzielle und emotionale Werte

Die Beziehung zwischen zwei Menschen ist mittlerweile eines der letzten Rückzugsgebiete, in das die wirtschaftliche Zwänge noch nicht Einzug gehalten haben. Mögen draußen die ungezügelten Kräfte des Marktes auch wüten, in der Zweierbeziehung sollen andere Regeln gelten. Da wird nicht nach Geld und Status gefragt, da haben nur die inneren Werte das Sagen. Da soll und muss die Romantik regieren.

Dass dieser fromme Wunsch bloß ein Wunsch ist, das kann man jeden Tag sehen. Der Naturwissenschaftler Erich Becker-Boost und der Ökonom Harald Klien versuchen nun die Liebe mit Hilfe von Zahlen, Daten und Formeln zu berechnen. Ihr Unterfangen bezeichnen Sie als "Die Vermessung der Gefühle".

Wir definieren die Liebe als ein Konglomerat aus durchaus materiell-finanziellen Bestandteilen (wie gegenseitigem Alltagsnutzen einschließlich Mehrung materiellen Besitzes, Fürsorge sowie Versorgung der Liebespartner) und aus "emotionalen Werten" (wie Erotik und Sexualität, Glücksempfinden, geistig-spiritueller Bindung - und gemeinsamen Kindern.)

Romantik statt Materialität

Die Idee, dass die Verbindung zweier Menschen nicht materiellen Interessen entspringt, ist relativ neu. Bis vor gar nicht allzu langer Zeit heiratete man, um so besser durchs Leben zu kommen. Die Frau erhielt einen Mann, der sie versorgte, der Mann einen Partner, der den Haushalt führte. "Liebe" war in diesem System nicht ausgeschlossen, aber auch keine Notwendigkeit.

Der Umbruch der Werte begann nach dem Zweiten Weltkrieg, konstatieren Becker-Boost und Klien. Ab dem Moment, ab dem wirtschaftliche Überlegungen keine überragende Rolle mehr spielten, rückten sexuelle und emotionale Befriedigung in den Mittelpunkt. "Unvernunft-Ehen" nennen die Autoren solche Verbindungen, bei denen am Anfang nicht wirtschaftliche Überlegungen, sondern romantische Gefühle stehen.

Partnerschaft als Fusion?

Trotz aller schönen Worte, trotz unzähliger Filme, Bücher und Songs, die von der reinen, hehren Liebe handeln, spielen kapitalistische Interessen auch heute noch eine wichtige Rolle. Nur traut sich das keiner mehr offen anzusprechen.

Die beiden Autoren nun spielen sehr bewusst mit diesem Tabubruch. Alles und jedes wollen sie in eine griffige Formel gießen und auf einer Matrix anordnen. Eine Liebespartnerschaft kann wie der Zusammenschluss zweier Firmen geplant werden. Zuerst braucht es eine Situationsanalyse: Warum will ich meinen jetzigen Zustand ändern? Danach kommt die Zielsetzung, die drei Fragen beantworten muss. Was soll erreicht werden? Bis wann soll es erreicht werden? Und welche Mittel ist man bereit, einzusetzen?

Es folgt der Konzeptentwurf für ein anderes Lebens- und Liebensmodell, dann die Bewertung der Alternativen - was bringt es und was kostet es? Am Ende steht dann die durch und durch rationale Entscheidung: Entweder eine neue Partnerschaft oder die Restrukturierung der alten Verbindung.

Rechenaufgabe Beziehungswert

Kapitel für Kapitel ökonomisieren die beiden Autoren alle Bereiche der zwischenmenschlichen Beziehung. Sie stellen eine Mathematik der Liebe auf, bieten eine Due-Dilligence Prüfung der Ehe an und errechnen auch noch den monetären Wert der Liebespartner.

Dieser baut auf dem bei der Partnerschafts-Gründung vorhandenen Vermögen auf und setzt sich aus dem ab diesem Zeitpunkt erwarteten laufenden Einkommen zusammen, ausgedrückt als "Net present value" (NPV). Dieser Wert wird durch Diskontierung der künftigen Einnahmen auf den Gegenwartswert errechnet und durch Abzug der diskontierten Investitionen in die Ausbildung des Mannes oder der Frau korrigiert.

Ernst oder Satire?

Es folgen eine Unzahl von sehr komplizierten Formeln, und man weiß nicht so genau, ob die beiden Autoren ihr Buch ernst nehmen oder es als Satire anlegen. Im Grunde genommen ist es beides. Denn einerseits ist die Idee, Ehe, Familie und Kinder als ökonomisches System zu deuten, seit Gary S. Beckers ökonomischem Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens in der Wissenschaft etabliert.

Andererseits aber treiben Becker-Boost und Klien diesen Ausgangspunkt dermaßen an die Spitze, dass er zur Karikatur verkommt. So gibt es neben vielen anderen auch eine Tabelle, die die Wertschöpfung und Valorisierung erotischer und sexueller Aktivität berechnet. Zur Erklärung heißt es dann:

Für eine Frau/Partnerin wird als Nutzen/Wert jeweils die Hälfte der obigen Preise/Werte angenommen, weil Frauen bei Erotik und Sex angeblich weniger Genuss empfinden als Männer, oder eine andere Art von Genuss, oder auf einer anderen Ebene.

Polarisierender Zugang

Feministinnen werden an solchen Ausführungen wenig Freude haben. Und auch die Bemerkung, dass das "Auf-den-Markt-Kommen" von jungen Frauen vergleichbar ist mit dem Börsengang eines Unternehmens wird bei ihnen wohl wenig Begeisterung hervorrufen.

Mit Einschränkungen ist die "Ökonomie der Liebe" dann aber doch ein lesenswertes Buch. Vieles darin ist interessant, einiges unverständlich und vieles auch - gewollt oder ungewollt - komisch. Hier werden aber althergebrachte Ideen auf den Kopf gestellt und Überzeugungen hinterfragt. Und das kann nie schaden.

Service

Erich Becker-Boost und Harald Klien, "Ökonomie der Liebe. Die Vermessung der Gefühle", Thomas Sessler Verlag

Thomas Sessler Verlag