Sechs oder vier Jahre?

Hamburg entscheidet über Volksschule

Die schwarz–grüne Regierung in Hamburg hat auf das schlechte Zeugnis für ihre Bildungspolitik mit einem weitreichenden Maßnahmenpaket reagiert und sich damit viel Widerstand eingehandelt. Am Sonntag steht deswegen sogar ein Volksentscheid an, der erste in der Geschichte der Hansestadt. Es geht um vier oder sechs Jahre Volksschule.

Mittagsjournal, 17.07.2010

"Schulkrieg und Glaubenskampf"

Seit Monaten gehen an Alster und Elbe die Wogen hoch. Kein anderes Thema emotionalisiert die sonst so zurückhaltenden Hanseaten wie die Frage, ob die Volksschule künftig vier oder sechs Jahre lang dauern soll. Von Schulkrieg und Glaubenskampf ist die Rede, die Für- und Widersprecher ziehen sich durch alle politischen Lager und sozialen Schichten. Die anderen Inhalte des dicken Reformpaktes – kleinere Klassen, Einzelförderung, Reduzierung auf zwei weiterführende Schulformen, früher Englischunterricht oder bessere Lehrerausbildung - stehen nicht zur Abstimmung.

"Die Stadt braucht jedes Kind"

Nach dem Willen des schwarz–grünen Senats sowie der breiten Mehrheit in der Bürgschaft soll der schulische Grunddurchgang sechs Jahre lang dauern. Bildungssenatorin Christa Goetsch von den Grünen sieht das als einen wichtigen Punkt, in der Stadt mit dem hohen Migrantenanteil die Chancengleichheit zu heben und die soziale Kluft zu verkleinern. Die Stadt brauche jedes Kind, es herrsche riesigher Fachkräftemangel.

Erfolgreiche Bürgerbewegung

Von Gleichmacherei sprechen die Gegner, die vor allem in den besseren Hamburger Vierteln zu Hause sind. Von einem Gucci Aufstand hat die "Zeit" geschrieben, als sich eine Bürgerbewegung namens "Wir wollen lernen" gegründet hat. Ihr Volksbegehren war nach nur wenigen Wochen so erfolgreich, dass der bindende Volksentscheid notwendig wurde. Angestoßen hat die Initiative der Jurist Walter Scheuerl. Längeres Lernen in der Volksschule verkürze die Zeit in den weiterführenden Schulen, sagt er. Ihm und seinen Mitstreitern geht es dabei primär um das Gymnasium, auch wenn sie das selten offen sagen. Aus Sicht von Scheuerl leidet die leistungsgerechte Förderung, Hamburg würden Bildungsnachteile drohen. Nach den jüngsten Umfragen wird ein knappes Ergebnis erwartet, die Systemerhalter liegen vorn.

Wichtiges Signal für den Bund

An dem Volksentscheid in Hamburg hängt mehr als ein Ja oder Nein zu einem Punkt einer Schulreform. Für die Bildungspolitiker außerhalb des Stadtstaates bildet das Ergebnis ein wichtiges Signal, in welchem Umfang sich Reformpläne im Bereich Schule umsetzen lassen – das Hamburger Modell gilt in manchen Ländern als Vorbild. Für die schwarz–grüne Koalition hätte ein Nein zur Reform eine weitere Schwächung zur Folge, denn sie hat Bildung zu einem ihrer Kernthemen gemacht.

Gibt der Bürgermeister auf?

Geschwächt dürfte die Koalition am Sonntag so oder so werden. Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust will nach neun Jahren gehen. Er sei amtsmüde, heißt es, Gerüchte um seinen Rücktritt halten sich seit Monaten hartnäckig, seine Dementis sind halbherzig. Nach unbestätigten Meldungen will von Beust Sonntagnachmittag seinen Rückzug mit Ende August bekannt geben – pünktlich zur ersten Sitzung der Bürgschaft nach der Sommerpause. Es wäre der sechste CDU-Regierungschef innerhalb eines Jahres, der sein Amt aufgibt beziehungsweise verliert.