Erste Studie über Politikjournalismus

Zwischen "Verhaberung" und Geldnot

In Wien ist die erste umfassende Studie über Politikjournalismus in Österreich vorgestellt worden - mit Licht- und Schattenseiten. Hohen journalistischen Ansprüchen steht in den Redaktionen starker ökonomischer Druck gegenüber. Und fehlende persönliche Distanz zwischen Journalisten und Politikern wird als Problem gesehen.

Mittagsjournal, 21.07.2010

Sensation verdrängt Sachinformation

Die Studienautoren vom Medienhaus Wien haben ein Drittel der rund 300 Journalisten befragt, die tagtäglich über die österreichische Innenpolitik berichten. Die Selbstsicht fällt durchaus kritisch aus: Fast 90 Prozent gaben an, dass Sensationen, Personen und Konflikte in der Politikberichterstattung immer mehr Platz einnehmen und die Sachinformation verdrängen. Der Medienforscher Matthias Karmasin hebt hervor: Die Person als Handlungsträger sowie das Austragen von Konflikten, der "horserace journalism", rücke immer mehr in den Mittelpunkt der Berichterstattung.

Unabhängigkeit bedroht

Mehr als 70 Prozent sehen es als Problem, dass Journalisten und Politiker in Österreich sehr eng miteinander umgehen, also "verhabert" sind, wie es auf Wienerisch heißt. Darunter leidet die journalistische Unabhängigkeit.

Spardruck versus kritischer Journalismus

Ebenfalls mehr als 70 Prozent der Politik-Journalisten beklagen, dass zeitaufwändige Recherchen immer seltener möglich sind. Spardruck auf die Redaktionen macht sich bemerkbar. Und das schlägt sich mit einem herausragenden Merkmal im Selbstverständnis der Politikjournalisten. Matthias Karmasin: Die kritische Funktion, die "watchdog-Funktion" sei im internationalen Vergleich sehr hoch ausgeprägt. 97 Prozent der österreichischen Politik-Journalisten sehen ihre Aufgabe primär darin, Missstände aufzuzeigen und zu kritisieren. Während es bei den deutschen Kollegen mit 60 Prozent deutlich weniger sind.

Links überwiegt

Die Erklärung Karmasins für das Phänomen: Weil man sich in Österreich so gut kennt, steige dadurch nicht gerade das Grundvertrauen. Eine andere mögliche Erklärung ist die politische Grundhaltung: Immerhin fast zwei Drittel der Politik-Journalisten geben hierzulande links von der Mitte an, ein Fünftel sieht sich genau in der Mitte, und nur 16 Prozent rechts davon. Mit Parteinähe hat das aber weniger zu tun, hier werden die Grünen am öftesten genannt, gefolgt von der ÖVP und sonstigen Parteien. Nur fünf Prozent fühlen sich der SPÖ nahe. Der größte Teil der Politikjournalisten, nämlich 31 Prozent neigen gar keiner Partei zu.

Buchtipp

"Journalisten-Report III, Politikjournalismis in Österreich", Andy Kaltenbrunner, Matthias Karmasin und Daniela Kraus, Facultas-WUV Verlag, ISBN 978-3-7089-0581-5

Übersicht

  • Medien