"Erfüllung eines Lebenstraums"

Vaclav Havels Debüt als Filmregisseur

Als Autor erfolgreicher Dramen hat er die Theaterwelt erobert, als Präsident die Tschechoslowakei und später die Tschechische Republik nach 1989 durch den Reformprozess geleitet. Nun erfüllt sich Vaclav Havel einen Lebenstraum: Er verfilmt sein bisher letztes Bühnenstück "Der Abgang" und führt selbst Regie.

Kulturjournal, 21.07.2010

Katrin Materna

Vor dem Treppenaufgang zur Villa Cerych herrscht ein reges Treiben. Schon seit drei Wochen dient der schmucke Art-Deco-Bau als Drehort für Havels "Abgang". Havels Nachname prangt auf einem Regiestuhl, auf dem er sich kurz vor Drehbeginn sogleich niederlässt – ein ungewohnter Anblick.

Auf einem Monitor verfolgt der Regisseur Havel gebannt, wie sich einer der Schauspieler am Treppenabsatz auf die erste Szene des Tages vorbereitet.

"Wir machen das mit zugeknüpftem Sakko, wenn's geht", lautet seine Regieanweisung. Der Darsteller folgt dem Geheiß. Gleich darauf zückt er zwei Pistolen, hantiert kurz mit ihnen herum und schon ist die Szene im Kasten. Vaclav Havel nickt zufrieden.

Autorität auch am Set

Für Havel geht mit diesem Film ein Lebenstraum in Erfüllung: "Das hier ist eine bemerkenswerte Erfahrung, nach der ich fast mein ganzes Leben lang gestrebt habe. Meine Familie hatte mit dem Film zu tun, mein Onkel hat die Barrandov-Studios gegründet. Deshalb kam ich schon in meiner Kindheit mit ihm in Berührung. Das ist vielleicht auch einer der Gründe, warum ich immer Film-Regisseur werden wollte."

In den 1950er und 1960er Jahren sei es ihm aber aufgrund der politischen Verhältnisse in der damaligen Tschechoslowakei verwehrt geblieben, an einer Filmhochschule zu studieren. Deshalb wurde er zunächst Chemie-Laborant, später Literat, Wortführer der "Charta 77" und schließlich tschechischer Präsident. Seinen ersten Spielfilm dreht er deshalb erst jetzt, im Alter von fast 74 Jahren. Doch das Zepter hält er hier scheinbar genauso fest in der Hand wie auf der politischen Bühne.

"Ich bin überrascht, wie gut das hier am Set funktioniert", so Havel. "Manchmal stolziere ich hier nur so herum, habe plötzlich einen Einfall und teile ihn demjenigen mit, der gerade neben mir steht. Am nächsten Morgen stelle ich dann fest, dass die Idee in die Tat umgesetzt wurde. In der Politik war das deutlich anders."

Als Vorlage dient ein Havel-Stück

Die Politik ist auch Thema in dem Stück, das als Vorlage für Havels ersten Spielfilm dient. Gleichzeitig geht es darin um die Bewältigung von Veränderungen und markanten Wendepunkten, die das Leben ausmachen. Die Hauptfigur, ein gewisser Dr. Vilem Rieger, hat als Kanzler lange Jahre die Sonnenseite der Macht genossen. Nun muss er seinen Posten räumen. Ein Verlust, mit dem er nur schwer fertig wird. Weitere, private, Konsequenzen folgen.

Josef Abrham verkörpert den Rieger in Havels Film. "Ein jeder Mensch kommt einmal an dem Punkt an, an dem es Zeit wird zum Resümieren, zum Anhalten", meint Abrham. "Und jeder von uns hat auch mal einen Misserfolg. Das sind Situationen, in die sich die meisten von uns hineinversetzen können und sie sind übertragbar auf die Rolle des Rieger."

"Direkter Einfluss"

Havel hat das Stück bereits vor seiner Zeit als tschechisches Staatsoberhaupt entworfen, fertig geschrieben hat er es vor vier Jahren. 2008 feierte es Premiere in Tschechien, wurde seither auf zahlreichen ausländischen Bühnen aufgeführt.

"Dieses Stück liegt mir mehr am Herzen als andere, weil es einen leicht bilanzierenden Charakter hat", meint Havel. "Außerdem ist es mein bisher letztes Werk. Das ist das erste Mal, dass ich eines meiner Bühnenstücke auch selbst interpretieren darf. Bisher war ich in dieser Hinsicht immer auf Andere angewiesen. Jetzt habe ich die einmalige Gelegenheit, direkt Einfluss zu nehmen." Genau das sei es, was diese Arbeit so reizvoll mache, so Havel.

Dagmar Havlova in einer Hauptrolle

Im Gegensatz zu der Bühnenversion hatte er hier außerdem freie Hand bei der Besetzung. Neben zahlreichen anderen hochkarätigen tschechischen Schauspielern hat er deshalb auch seine zweite Ehefrau Dagmar engagiert. Sie spielt die Irena, die Lebensgefährtin des Dr. Rieger, die weibliche Hauptrolle also. Havel hat ihr die Rolle auf den Leib geschrieben.

"Vaclav hat die Rolle für mich geschrieben, aber nicht über mich", so Havlova. "Das nur der Klarheit wegen. Ich war schon während des Entstehungsprozesses dabei und habe verfolgt, wie sich das Stück entwickelt. Ich spiele die Rolle unheimlich gern."

Drehen mit dem "Präsidenten"

Seine fehlende Film-Erfahrung macht der Regisseur Havel offenbar mit seiner natürlichen Autorität wett. An seiner Kompetenz zweifelt hier niemand, beteuert Jaroslav Boucek, der Produzent des Filmes:

"Für uns alle hier ist Vaclav Havel nach wie vor der Präsident. Wir drehen also mit dem Präsidenten. Wer kann das schon von sich behaupten. Alle Schauspieler hier haben großen Respekt vor ihm. Das hat sogar zu ganz amüsanten Situationen geführt: Manche tschechische Stars haben vor lauter Nervosität ihre Texte vergessen, als sie das erste Mal vor ihm standen."

Die Schauspieler, die in Havels Film mitwirken, sind voll des Lobes für den Regisseur. Filmfans und Kritiker werden sich im kommenden März ein Bild machen können. Dann soll der Streifen in den Kinos anlaufen.