Auf den Spuren Richard Wagners
Ruggero Leoncavallos "I Medici"
Das "Neue" kam von jenseits der Alpen, trug den Namen Richard Wagner, und die italienischen Komponisten ließen sich anstecken. Erstmals auf CD: Ruggero Leoncavallos "I Medici" mit Placido Domingo in der Tenor-Hauptrolle.
8. April 2017, 21:58
Wagner auf Italienisch
Für alle, die sich eine Leoncavallo-Oper in der Art des "Bajazzo" erwartet hatten, musste "I Medici" im Mailänder Teatro Verme 1893 ein Heiß-Kalt bedeuten: Doch, die Phrasen, die (wie in jedem seiner Werke) an die "Pagliacci" von 1892 erinnern, sind zu hören, aber dazwischen "wagnert" es in den "Medici" mit ihrem historischen Renaissance-Stoff beträchtlich, vor allem im groß besetzten Orchester.
"Il crepuscolo degli dei" heißt "Die Götterdämmerung" von Richard Wagner auf Italienisch, "Il crepusculum" sollte die Opern-Trilogie heißen, die Ruggero Leoncavallo im Auge hatte, auf Anregung von Bariton Victor Maurel, dem späteren der ersten Verdi-Jagos: ein "episches Gedicht in Form einer historischen Trilogie" nach dem Vorbild von Wagners "Ring des Nibelungen".
Leoncavallo hat zeitlebens vieles angefangen, wenig zu Ende gebracht, auch "Il crepusculum" nicht, es blieb bei "I Medici".
Über die musikalischen Wagner-Anspielungen (an "Siegfried", an "Tristan und Isolde") führte der Komponist genau Buch, aber er sagte auch selbst: "Den Grundsätzen des Bayreuther Meisters folgend, habe ich versucht, ein Nationalepos zu schaffen, und daher sollte die Musik eine Aura von ausgeprägt italienischem Charakter haben." Womit genau der Zwiespalt umrissen ist, in dem sich "I Medici" bewegen.
Orchesterpassage aus dem Vorspiel zum 1. Akt
Medici im Mittelpunkt
Florenz war in der Renaissance Stadt der Wissenschaft, Stadt der Künste - und Stadt der Medici. Giuliano de' Medici, die Tenorpartie von Leoncavallos Oper, hat den ersten Mordanschlag hinter sich, die Verschwörung für den nächsten brodelt schon. Und es sind, im von Leoncavallo selbst getexten Libretto (Vorbild Richard Wagner!) zwei Frauen um ihn: abgeschlagen die schwindsüchtige Simonetta Cattanei, zupackend Fioretta de' Gori. Giulianos Bariton-Bruder Lorenzo überlebt zuletzt das Attentat, kann die schwangere Fioretta unter seinen Schutz stellen, und mit ihr auch Giulio, Giulianos ungeborenen Sohn, der einmal Papst Klemens VII. sein wird ...
Musikalisch gibt es schöne Momente, viele Instrumental-Finessen, ungewöhnliche Chorpassagen; eine Art Tanzlied des Baritons bleibt im Ohr, der Tenor darf schwelgen und glänzen - ein großer Wurf sind "I Medici" mit ihren Tableaus à la Meyerbeer trotzdem nicht.
Placido Domingo in alter Leidenschaft
Marcello Viotti hat "I Medici" in den 1990er Jahren einmal in Frankfurt aufgeführt, Mitschnitte kursierten "unter der Hand", danach war es wieder still um das Stück. Dass nun der Weltrekordhalter im Opernrollen-Sammeln, Placido Domingo, "Zugpferd" der 2007 in Florenz entstandenen CD-Ersteinspielung der Deutschen Grammophon ist, wird zumindest den Titel des Werkes bekannt machen.
In der anspruchsvollen, für Domingos Verhältnisse extrem hoch liegenden, für Francesco Tamagno, den "Otello"-Uraufführungsinterpreten geschriebenen Partie setzt er nicht nur seine ergebenen Fans in Erstaunen: Er singt und gestaltet mit Leidenschaft, Stimmschönheit und unverkennbarem Schmelz, als wäre die Zeit stehen geblieben. Nur wenige aus den Phrasen ausbrechende Spitzentöne und ein leichter Verlust an Festigkeit bei lang ausgedehnten Melodien verraten, dass sich hier ein Sänger, der nicht aufhört, Neues und Ausgefallenes zu lernen, den 70 nähert.
Placido Domingo
Absurderweise sind es die viel jüngeren Partnerinnen Domingos bei dieser Aufnahme mit Chor und Orchester des Maggio Musicale Fiorentino unter Alberto Veronesi, die einen manchmal schmerzen: die arg vibrierende Daniela Dessi und die brachial "veristisch" agierende Renata Lamanda. Bariton Carlos Alvarez versieht seinen Dienst mit stoischer Autorität.
Und dennoch verdient die Einspielung jeden Preis, weil sie die Augen dafür öffnet, wie unendlich vielfältig italienische Oper am Ende des 19.Jahrhunderts sein konnte.
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