Kolumne von Thomas Schaller

Die Beine der Mädchen in Zeiten des Feminismus

Letztens, an einem dieser überhitzten Sommertage, an denen die Jalousie vor dem Fenster zur lebensrettenden Erfindung wird, las ich Sergej Lukianenkos Bestseller-Roman aus dem Jahr 2005 (deutsch, in Russland erschien das Kultbuch schon '98) "Die Wächter der Nacht".

Ja, ja, ich weiß schon: Das ist nicht das, was der handelsübliche Bildungsbürger als "große" Literatur, oder gar überhaupt als Literatur ansehen würde. Lustig ist es trotzdem.

In einer Szene lässt der wilde Russe zwei seiner jungen Protagonistinnen zu einer weiblichen Runde zusammen kommen, zu einem "ruhigen Abend vorm Fernseher mit Tee, einem Fläschchen trockenem Wein und Gesprächen über die drei ewigen Themen: Männer sind Schweine. Ich habe nichts zum Anziehen. Und – das wichtigste überhaupt: Wie schaffe ich es, abzunehmen?"

Sehen Sie: An einem derart brütend heißen Sonnentag und in meinem methusalemischen Alter – im Wesentlichen stamme ich ja aus der präfeministischen Ära der Menschheit, bin quasi ein lebendes Fossil – kann ich über solche Witze lachen.

Der Feminismus hat in der Tat die Welt verändert, und mir scheint durchaus gerechtfertigt, hier von einem neuen Zeitalter zu sprechen. Nein, nein, ich rede jetzt nicht von gleichem Lohn für gleiche Arbeit. Oder dergleichen. Das sind ja Banalitäten.

Es beginnt ja schon in der Kindheit. Beispiel: Als ich in der Volksschule war, konnte man... also kind, genau genommen... noch offen und ehrlich sagen: Mädchen sind doof. Mir wurde das nie nachgetragen, nicht einmal von meiner Volksschul-Lehrerin, einer strengen, älteren Dame mit strenger Frisur und strenger Brille. Die nahm das hin.

Als meine beiden Jungs dann in jenem Alter waren, ging das nicht mehr. Sie waren zwar im Prinzip der nämlichen Auffassung, wie ich durch inquisitorische Befragung heraus fand – diese Einstellung scheint eine anthropologische Konstante zu sein –, indes: auszusprechen, hätten sie sich das nie und nimmer getraut. Damit wären sie nicht nur bei ihrer Lehrerin, einer sonst recht umgänglichen jungen Frau, unten durch gewesen. Merke: Es gibt Wahrheiten, die können im Zeitalter des Feminismus nicht mehr gesagt werden.

Oder, weil wir ja gerade von sommerlichen Vorkommnissen reden: Als ich dann in dem Alter war, in dem meine Jungs jetzt sind, durfte man ohne Weiteres die Beine der gleichaltrigen Mädchen in ihren kurzen Röcken und Shorts hübsch finden. Und sogar hinschauen. Na gut, wenn man gerade die eigene Freundin bei sich hatte, ließ man das allzu forsche Hinschauen besser bleiben. Eigene Freundinnen wollen das nicht, lernte man bald, man fasste dann immer irgendwelche Rügen und Ermahnungen aus, mitunter handgreifliche. Aber gesellschaftlich war das akzeptiert.

Mitnichten heute, erklären mir meine Jungs. Die Beine der Mädchen hübsch zu finden, gilt inzwischen als völlig unmöglich. Als Machismo der Sonderklasse, mit dem man sich sofort als Superultramegaprolo outet (Zitat wörtlich, ich bin an diesem Buchstabensalat unschuldig!). Ich brachte dann den Einwand, dass, bitte sehr, immerhin die Existenz der Menschheit darauf beruht, dass die Jungs die Beine der Mädchen hübsch finden. Ohne das wären wir doch längst ausgestorben. Ich meine... wie wäre es zur Fortpflanzung gekommen? – Die Kinder werden ja, wie wir mittlerweile alle wissen, nicht vom Storch gebracht.

Meine Jungs verstanden das erst nicht. So legte ich nach. Nun ja, sagte ich, sie müssten schon wissen: Sie selbst verdanken ihre Existenz schlicht der Tatsache, dass ich in jenen Jahren die Beine der Mädchen hübsch fand – nebst einigem Anderen, das ich auch hübsch fand. An den Mädchen nämlich. Daraufhin Schweigen. Sie grinsten nur.

Nun gut. Ein vorbildlicher Vater im Zeichen des Feminismus werd' ich auf meine alten Tage wohl nicht mehr. Das ist vorbei. Alle diesbezügliche Hoffnung muss auf den künftigen Generationen ruhen. Wenn's die denn geben sollte. Und Sie, meine lieben Leserinnen und Leser, wissen auch, was jetzt kommt: 3.000 Zeichen – und tschüss.

Das ist in diesem Fall auch gut so. Sonst fiele mir in der Hitze des Sommers noch einiges mehr zum Feminismus ein, was ich lieber nicht zum Besten gebe. Zur Abkühlung hüpfe ich jetzt erst mal ich den Pool.