Was macht Tanz aus?

Jérôme Bel bei ImPulsTanz

Wie funktioniert eine Tanzperformance? Wie ist das Verhältnis Tänzer/Publikum? Mit solchen und ähnlichen Fragen beschäftigt sich der französische Tänzer und Choreograph Jérôme Bel seit Jahren. Am 29. Juli 2010 war seine Produktion "Cédric Andrieux" im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals im Wiener Museumsquartier zu sehen.

Kultur aktuell, 30.07.2010

Es begann vor sechs Jahren: Jérôme Bel bekam damals den Auftrag für eine Arbeit mit dem Ballett der Pariser Oper. Er machte daraus eine Dokumentation über die Tänzerin Véronique Doisneau, die von ihrer Arbeit im Corps de ballet erzählte und Beispiele ihres Könnens zeigte. Eine Produktion, die auf großes Interesse beim Publikum stieß, so dass Jérôme Bel sein Projekt mit weiteren Tänzern verfolgte, so etwa mit dem klassischen thailändischen Tänzer Pichet Klunchun sowie Lutz Förster, der lange mit Pina Bausch gearbeitet hat. Jedesmal trägt die Produktion den Namen des Tänzers.

"Cédric Andrieux" ist die neueste Arbeit, er war acht Jahre lang Mitglied der Compagnie von Merce Cunningham. Die Tänzer und die Stilrichtung, aus der sie kommen, sind natürlich nicht zufällig ausgewählt: Es müssen ästhetische Projekte sein, die für ihn, Jérôme Bel, von Interesse sind und die die Geschichte des Tanzes prägen oder geprägt haben. Die Peformance ist dann eine Mischung aus Erzählung und Bewegung.

"Es ist sehr einfach", meint Bel. "Er erzählt von seinem Leben und geht dabei chronologisch vor, praktisch von seiner Geburt an. Und von Zeit zu Zeit zeigt er Beispiele seiner Tanz-Praxis aus unterschiedlichen Entwicklungsstadien, also von seinen Anfängen bis zum Zeitpunkt, als er ein professioneller Tänzer wurde." Jerôme Bel nennt das eine "getanzte Biografie".

Erzählen über Arbeit

Bei den vier bisher auf diese Art entwickelten Produktionen - klassisches Ballett, traditioneller thailändischer Tanz, Pina Bausch und jetzt Merce Cunningham, geht es letztlich immer um dieselbe Frage: zu erkunden, was Tanz ist. Was erzählt der jeweilige Tänzer aber?

Er spricht über seine Arbeit, und Arbeitsbedingungen, ohne auf Effekte aus zu sein - was zur Konsequenz hat, dass sich das Publikum mit ihm identifiziert, "denn man spricht über Arbeit, nicht über das Privatleben oder psychische Probleme und Ähnliches. Und die Menschen im Saal haben ähnliche Probleme. Mit ihren Chefs, mit ihren Arbeitskollegen. Beim Tänzer ist das genauso. So entsteht eine Art Gemeinschaft mit dem Tänzer."

Anekdoten-Sammlung

Cédric Andrieux war acht Jahre bei der Merce-Cunningham-Tanz-Compagnie. Jérôme Bel hat er bei einer Abreit mit dem Ballett von Lyon kennengelernt. Zufällig kamen sie über Merce Cunningham ins Gespräch, und so entstand das Projekt.

"Am Anfang waren das Gespräche", so Cédric Andrieux. "Es war ja nicht so, dass ich mich an den Computer setzte und mir sagte: so jetzt werde ich mein Leben erzählen. Wir kommunizierten per E-Mail, mir fielen Anekdoten ein, ich schickte sie Jérôme, der dann eine Auswahl traf. Es ging um die Aussagekraft dieser Anekdoten, was sie über mich aussagten, auch über meine Arbeit mit Merce Cunningham."

Bei Cunningham zu arbeiten hatte nichts besonders Glamouröses an sich: "Wir standen in der Früh auf, um zu arbeiten", erinnert sich Andrieux. "Das war manchmal schwer, man hatte Schmerzen, manchmal war die Arbeit stinklangweilig, dann gab es wieder fantastisch spannende Momente. Das Leben eines Tänzers ist nicht so, wie viele es sich vorstellen: Es gibt da sehr unterschiedliche, vielfältige Erfahrungen, wie eben das Leben so ist. Ich dachte, es sei wichtig, das einmal auf einer Bühne zu inszenieren."

Respektvolle Beziehung

Als Cédric Andrieux noch sehr jung zu Merce Cuningham stieß, war es für ihn zuerst einmal wichtig, Anerkennung zu finden, in einer großen Compagnie. Erst als er sich diesen Traum erfüllt hatte, konnte er die Arbeit Cunninghams richtig schätzen lernen:

"Die Beziehung war distanziert und professionell. Als 22-Jähriger hatte ich Mühe, sie zu verstehen: Ich hatte diese Vorstellung einer engen Beziehung zu dieser Person, der ich meinen Körper anvertraute. Erst später realisierte ich, dass es da etwas sehr Ehrenhaftes gab: Er nahm nicht den Platz eines Ersatzvaters ein, eines Mentors oder eines Freundes. Darum waren die Dinge klar, es gab keine Übergriffe oder Mangel an Respekt - in die eine oder die andere Richtung. Es war eine distanzierte Beziehung, die nicht ausschloss, dass es hie und da auch intimere Momente gab, Momente, an die man sich lange erinnert. Vor allem, was mich betrifft, die Treffen, bevor ich die Compagnie verließ, diese Momente waren sehr berührend. Vor allem jetzt, nach seinem Tod, bekommt das eine besondere Bedeutung."

Für Jérôme Bel sind diese Erzählungen jedenfalls der Schnittpunkt zwischen Geschichten und der Geschichte.

Service

Festival ImPulsTanz, bis 15. August 2010, mehrere Spielstätten in Wien,
Ö1 Club-Mitglieder erhalten ermäßigten Eintritt (30 Prozent auf die ImPulsTanz Card)

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