Das neue Buch von Norbert Gstrein
Die ganze Wahrheit
Auf einen Literaturskandal bereitet sich das deutsche Feuilleton vor. Der Anlass: "Die ganze Wahrheit", das neue Buch von Norbert Gstrein. Der Roman des Tirolers soll ein verkapptes Porträt der Suhrkamp-Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz sein, ein nicht gerade schmeichelhaftes Porträt.
8. April 2017, 21:58
Durch einen Vorabdruck in einer schweizerischen Zeitschrift, durch Interviews und eine erste Lesung wurde die Debatte um das Buch bereits Wochen vor seinem Erscheinen Mitte August eröffnet.
Mittagsjournal, 31.07.2010
Der Titel verspricht viel, nämlich "Die ganze Wahrheit". Und seit Wochen raunt es im deutschen Feuilleton: Norbert Gstrein rechnet mit Suhrkamp ab. Die Geschichte ist schnell erzählt: Aus der Perspektive eines unzufriedenen, entlassenen Lektors entwirft Norbert Gstrein das Porträt einer überspannten Verlegerin. Dagmar heißt sie und um wen es sich bei Dagmar handelt, das hat Norbert Gstrein selbst bei einer ersten Lesung in Berlin bereitwillig bekannt gegeben: es ist Ulla Unseld-Berkéwicz, die Witwe des 2002 verstorbenen Verlegers Siegfried Unseld.
Zwischen Fakten und Fiktion
Aus Eckdaten der Biografie von Ulla Unseld-Berkéwicz und aus Gerüchten, die sich um ihre Person ranken, hat Norbert Gstrein die Figur der Dagmar kreiert. Ein paar Stichworte dazu: okkulte Neigungen, Alkoholismus, jüdische Selbststilisierung, Herrschsucht, esoterischer Wahn.
Dagmar jedenfalls heiratet den deutlich älteren Verleger Heinrich Glück, bald schon mischt sie sich in die Buchgeschäfte ein und schreibt nach dem Tod des Verlegers ein Buch über sein Sterben.
Angesiedelt ist die ganze Geschichte in Wien, in einem mittelmäßigen Kleinverlag. Einmal mehr ist Norbert Gstrein im Grenzbereich zwischen Fakten und Fiktionen unterwegs - skeptisch, so nennt er selbst seine Grundhaltung. "Das ist ganz schlicht und einfach mein Blick auf die Wirklichkeit", so Gstrein.
Anfangspunkt und Endpunkt
1988 hat Norbert Gstrein bei Suhrkamp debütiert - mit seiner viel beachteten Erzählung "Einer". Knapp 20 Jahre lang war er dann Autor dieses Verlags, bis er sich mit Ulla Berkéwicz überworfen hat. Jetzt ist er bei Hanser und sein Verleger Michael Krüger, selbst Suhrkamp-Autor, soll sich bereits vorab, bevor "Die ganze Wahrheit" herausgekommen ist, bei Suhrkamp-Chefin Ulla Berkéwicz entschuldigt haben. Bleibt die Frage, ob das Buch auch für Leser außerhalb des Literaturbetriebs interessant ist. Hat Dagmar ein literarisches Eigenleben? Funktioniert diese Figur, die hier detailliert aufgebaut und gnadenlos demontiert wird, ohne das reale Vorbild?
Norbert Gstrein möchte keine Vorschrift geben, wie das Buch zu lesen ist, "ich versuche das so zu sehen, dass ich am Anfang den Ausgangspunkt benenne und am Ende noch einmal einen Endpunkt. Dazwischen, hoffe ich, dass diese Prosa mit dem schweren Wirklichkeitsgewicht (...) es schafft, in die Luft zu kommen."
Turbulenzen erwartet
Der Ich-Erzähler jedenfalls erwartet eine Zwischenlandung vor Gericht. Gleich am Beginn des Romans heißt es: "Meine Darstellung, da bin ich sicher, wird noch am Tag der Veröffentlichung auf dem Schreibtisch des Anwalts landen und auf Punkt und Komma überprüft werden, ob sich darin etwas Justitiables findet." Und was erwartet Norbert Gstrein? Er hofft, dass die Turbulenzen für alle gering genug bleiben und dass er selbst wie alle Involvierten "am Leben bleibe".
Nachlesen kann man "Die ganze Wahrheit" ab dem 16. August, da kommt der neue Roman von Norbert Gstrein in den Buchhandel.
Textfassung: Ruth Halle