Baujuwele rund um Prag

Sgraffiti, Skoda, Smetana

Offen gesagt: Unsereins freut es auch ein wenig, dass kaum einem österreichischen Tschechien-Besucher was anderes einfällt als Prag. Kaum etwas anderes als ein meist knappes, viel zu kurzes Wochenende in der Hauptstadt. Jedenfalls vorerst noch.

Unsereins kann sich dann bei all den herrlichen Sehenswürdigkeiten in Böhmen unter richtige Tschechen mischen. Und braucht sich bei Führung und Besichtigung nicht von all den Cernys, Cáps und Cernohorskys aus Favoriten und aus Döbling auf die Füße treten lassen.

Im Dornröschenschlaf

Viele der herrlichen böhmischen Kulturschätze liegen unmittelbar vor den Toren Prags. Nicht wenige von ihnen dämmern auch 20 Jahre nach der "Samtenen Revolution" noch immer in einem (touristischen) Dornröschenschlaf vor sich hin und warten nach wie vor darauf, von einem Prinzen wachgeküsst zu werden. So wie Nelahozeves.

Wiedererweckung von Nelahozeves

Nelahozeves ist eines der schönsten und interessantesten Renaissance-Schlösser Böhmens. 1993 wurde es an seine früheren Besitzer, die Familie Lobkowicz, restituiert. Diese hat seither mit Passion und Engagement an der Wiederbelebung des viele Jahrhunderte alten europäischen Kulturerbes gearbeitet.

Allen voran hat sich William E. Lobkowicz der schwierigen Aufgabe angenommen, die Kunstsammlungen neu zusammenzuführen, die kostbare Bibliothek wieder der Forschung zu öffnen und all die Schätze der Öffentlichkeit entsprechend zugänglich zu machen.

Lobkowicz spricht perfekt Tschechisch, obwohl er 1961 in den USA geboren wurde. Im Exil sozusagen. "Zu Weihnachten sind wir dann häufig mit unseren Verwandten zusammengekommen. Wir waren ja alle Flüchtlinge. Alle unsere Cousins hatten Namen wie Kinsky, Schwarzenberg oder Auersperg. Die lebten alle in verschiedenen Teilen Europas, nachdem die Kommunisten sie rausgeworfen hatten."

Stätte der Bildung und Inspiration

William Lobkowicz hat in Harvard studiert. Nicht Politik und Ökonomie, sondern Europäische Geschichte und Musik. Und nun, wo auch das Prager Lobkowicz-Palais oben auf der Burg restituiert ist, will er aus Nelahozeves eine Stätte der Bildung und der Inspiration machen, ein Studien- und Musikzentrum. Was nahe liegt. Aus mehreren Gründen.

Zum einen ist da die außerordentliche Bedeutung, die die Lobkowicz' in der europäischen Musikgeschichte gespielt haben (unter anderem als Förderer Beethovens). Zum anderen ist das bescheidene Dörfchen Nelahozeves auch der Geburtsort Antonín Dvoráks. Der wurde 1841 gleich unterhalb des Sgrafitto-geschmückten Renaissanceschlosses geboren - als Sohn des Dorf-Fleischers.

Groteske Trophäen

Bleiben wir noch bei den Schlössern, die den Prag-fixierten Tschechien-Besuchern entgehen, obwohl sie gleich vor den Toren der Stadt liegen. Beim staatlichen Schloss Konopiste zum Beispiel, das ab 1887 Franz Ferdinand d'Este, dem österreichisch-ungarischen Thronfolger, gehörte. Konopiste mit seinem prächtigen Park und der großen Anzahl grotesker Trophäen in den langen Gängen. Unglaubliche 300.000 Tiere habe der Thronfolger erlegt, heißt es.

Die Vitrine mit den Memorabilien vom geschichtsträchtigen Attentat in Sarajewo tritt bei all den Trophäen fast in den Hintergrund, mitsamt dem Hut des Franz Ferdinand, seiner Totenmaske und allerlei historischem Kleinzeug.

Traurige Berühmtheit Königgrätz

Zwischen den Schlossbesichtigungen empfiehlt sich ein Abstecher nach Nordosten ins Skoda-Museum in Mlada Boleslav. Oder aber ein Besuch in Hradec Králové. Zum Durchatmen sozusagen.

Das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Ostböhmens ist von Prag in einer guten Autostunde zu erreichen. Die Stadt ist etwa so groß wie Salzburg und liegt fotogen an der Mündung der Orlice (Adler) in die Labe (Elbe). "Hradec" ist semantisch mit "Graz" oder "Grätz" verwandt und bedeutet "Festung". Der Genitiv "Králové" verweist darauf, dass die mittelalterliche Festungsstadt der Königin gehörte. Genauer: den königlichen Witwen, als Leibgedinge. Im deutschen Sprachraum ist die bemerkenswerte Stadt seit dem blutigen Gemetzel von 1866 traurig berühmt: Königgrätz.

Moderne urbanistische Konzepte für Neustadt

Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert konnten die weiten freien Flächen an der Elbe endlich bebaut werden, die zuvor aus militärischen Gründen hatten brach liegen müssen. In einer selten glücklichen Fügung waren ein moderner, weitblickender Langzeitbürgermeister (Frantisek Ulrich) und einige der herausragenden Architekten der Epoche (unter anderen Jan Kotera und sein Schüler Josef Gocar) eng befreundet.

"In der Neustadt an der Elbe haben die Stararchitekten ihre modernen urbanistischen Konzepte verwirklicht", ist Miroslav Klouda, der Denkmalschutzbeauftragte der Region, zu Recht stolz. "Nicht umsonst galt Hradec Králové als Salon der ersten tschechischen Republik."

Architekturlehrbuch unter freiem Himmel

Das Okresní dum, das Bezirkshaus, das Stadtmuseum, das Stromgewerbehaus, die Hussitenkirche... Diese und eine Vielzahl weiterer Gebäude sind bis heute der gebaute Beweis für die lange und tief verwurzelte Tradition der Moderne in Tschechien. Schnörkellose, klare Bauten, die fast völlig von unnötigem Ornament befreit sind.

Hradec ist eine Art Architekturlehrbuch unter freiem Himmel. Der typische Baustil der Zwischenkriegszeit in der Tschechoslowakei (der nicht zuletzt zur Abgrenzung von der Vergangenheit in der k. u. k Monarchie diente) zeigt sich besonders deutlich am Masaryk-Platz. Und selbstverständlich erinnert da auch ein Denkmal an den legendären Philosophen-Präsidenten.

"Die vielen Schulen und Universitäten tragen noch zusätzlich dazu bei, dass in Hradec Králové eine ganz eigene Atmosphäre herrscht. Eine intellektuelle, künstlerische", fügt Miroslav Klouda hinzu. Von der hartnäckigen Tristesse, die ansonsten in Tschechien jenseits von Prag bald einmal sicht- und spürbar wird, ist in Königgrätz jedenfalls nichts zu merken. Im Gegenteil: Der Lebensstandard und die Durchschnittslöhne sind hier besonders hoch.

8.000 Sgrafitto-Briefe

Am Heimweg nach Österreich sollte man dann doch noch ein Schloss "mitnehmen": Litomysl, mit seinem original erhaltenen Barocktheater. Und der Fassade mit den fast 8.000 Sgrafitto-Briefen. Keines dieser Sgrafitti gleicht dem anderen. Gleich gegenüber wurde Friedrich Smetana geboren. Als Sohn des Schloss-Braumeisters.

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