Antonio Prestis Skulpturensammlung auf Sizilien

Ein "Flusstal der Kunst"

Fiumara d'Arte, das Flusstal der Kunst, heißt ein international bekanntes Projekt in Sizilien. Der Mann dahinter heißt Antonio Presti. Seit 30 Jahren gilt er in seiner Heimat als Enfant terrible. Ein bisschen Klimt, ein bisschen D'Annunzio will er den Widrigkeiten seiner Heimat eines entgegensetzten: Schönheit.

Kulturjournal, 05.08.2010

Denkmal der Erinnerung

"Hier sind wir in der Nähe der ersten Skulptur der Fiumara d'Arte, 'La materia poteva non esserci', ein Monumentalwerk von Pietro Consagra", zeigt Antonio Presti auf eines der Kunstwerke. "Eine Doppelfigur in Schwarz und Weiß. Aus Stahlbeton gemacht, 20 Meter hoch. Ich habe es 1986 anfertigen lassen."

Antonio Presti liebt dieses Werk besonders. Es sei eine Hommage an seinen viel zu früh verstorbenen Vater. Ein Denkmal der Erinnerung. Riesig und doch ganz klein, sieht man es im Kontext der Landschaft, gleich hinter der Küste am Beginn eines meist trockenen Flusstals gelegen. Wie ein Tor zu den sich dahinter öffnenden Bergen, gleichzeitig geduckt unter einer Superstrada, die sich als Brücke in schwindelerregender Höhe von einem Berg zum anderen spannt.

Kunstwerke für die Allgemeinheit

"Ich hatte mich entschlossen, meinem Land Schönheit zu schenken", sagt Presti. "Schönheit, die sich in der Sprache der Skulpturen ausdrückt. Dieses Werk - mein erstes - habe ich im Flusstal von Tusa errichten lassen - und schon die Wahl des Ortes war eine politische Entscheidung. Es war ein politischer Akt, die Kunstwerke auf öffentlichen Boden aufzustellen um sie dann der Allgemeinheit zu schenken. Das ist der wichtigste Aspekt der Fiumara."

Für den Großteil der Sizilianer ist Antonio Preist seitdem ein exzentrischer Spinner, für die anderen ist er ein Künstler, ein Guru, ein Mäzen. Er selbst sieht sich als eine Mischung von allem, denn das Prädikat Spinner entlockt ihm heutzutage höchstens ein wohlwollendes Lächeln. Doch das war nicht immer so.

Anfeindungen vonseiten des Staates

Die Liebe zur Kunst war dem heute 54-Jährigen nicht direkt in die Wiege gelegt. Ingenieur sollte er werden. So wollte es jedenfalls der Vater, ein reicher Bauunternehmer, einer, der in Zement machte, einer, dessen Reichtum von öffentlichen Aufträgen abhing. Und das riecht in Sizilien immer nach Mafia. Der junge Student Antonio begann sich daher für Kunst zu interessieren.

Der frühe Tod seines Vaters bestärkte ihn in seinem Vorhaben. Er wollte lieber seinen Landsleuten moderne Kunst schenken, anstatt mit mafiösen Lokalpolitikern über Bauaufträge zu verhandeln. So brach er das Studium ab, schloss die Firma und ließ Kunst im öffentlichen Raum errichten.

"Der Staat, die Bürgermeister, die Beamten, sie alle haben dieses Geschenk nicht verstanden", erzählt Presti. "Sie haben vielmehr einen Prozess begonnen, der letztlich 20 Jahre gedauert hat. Die Kunstwerke wurden als rechtswidrig bezeichnet. Ich war angeklagt, öffentlichen Boden besetzt zu haben und sollte sie schleifen lassen. Auf der anderen Seite hat die Mafia begonnen, Attentate auf mich auszuüben. Ich hatte es ja abgelehnt, Schutzgelder zu bezahlen."

"Fenster zum Meer"

Für Antonio Presti hatte ein gefährliches Tauziehen begonnen. Während er mit Künstlern wie Paolo Schiavocampo, Tano Festa, Hidetoshi Nagasawa und Italo Lanfredini - um nur einige zu nennen - seine Projekte umsetzte, wollten andere ihn und seine Kunst vernichten. Doch Presti trat die Flucht nach vorne an, suchte prominente Unterstützung - und gab vor allem nicht auf.

Das Kunstprojekt "Fiumara d'Arte" machte in den späten 1980ern große Fortschritte. So entstanden die Skulptur "Kurve jenseits der Zeit", eine Kunst gewordene Begegnung der heißen Winde des Meeres und der kalten der Berge, sowie das berühmte Fenster zum Meer. Ein zwanzig Meter hoher blauer Rahmen, aufgestellt mitten am Strand. Ein riesiges Fenster, dessen Heiterkeit von einem schwarzen Monolithen durchbrochen wird: der Tod, der ungefragt in das Leben einbricht.

Hotel zu besichtigen

"Es ist notwendig, unserer Gesellschaft die Schönheit wiederzugeben, denn die Gesellschaft, in der wir leben, hat den Sinn für Schönheit verloren. Sie kreist nur um sich selbst. Und sie ist mittelmäßig geworden. Eine mittelmäßige Gesellschaft, die nur sich selbst sieht, hat aber die Fähigkeit verloren, Zukunft zu gestalten."

Willen und Mut zur Gestaltung haben Antonio Presti nie gefehlt. Wir besuchen daher sein Atelier sul Mare, ein Hotel mit vierzig Zimmern. Kein - wie sollte es anders sein - herkömmliches Hotel, denn zwanzig der Zimmer sind von Künstlern geschaffene Werke, bewohnbare Installationen, die täglich um die Mittagszeit gegen den Kauf einer Eintrittskarte besichtigt werden können.

Zimmer mit Aussicht

Gianfranco Molino, rechte Hand von Antonio Presti, führt durch die einzelnen Zimmer - alle tragen sie einen Namen: "Das Nest" zum Beispiel stammt von Paolo Icaro - alles ganz in Weiß, ein Bett wie ein stilisierter Flügel, eine Decke wie aus Federn, ein Spiegel wie ein ausgeschlüpftes Ei.

Eine Art Kontrastprogramm dazu ist das von Raoul Ruiz entworfene Zimmer: "Sigismunds Turm". Eine nachtschwarze Höhle mit einem raumfüllenden, drehbaren Bett. Mittels zweier in der Wand eingelassener Griffe lässt sich die Metalldecke teilweise öffnen. Gebündeltes Licht fällt so in den Raum.

Als eines der Highlights im Atelier sul Mare gilt das "Zimmer des Propheten": Eine Rauminstallation von Dario Bellezza, Adele Cambira und Antonio Presti, erschaffen im Gedenken an Pier Paolo Pasolini.

"Die Menschen, die hier hereingehen, treten sozusagen die Institutionen mit Füßen", meint Gianfranco Molino, "jene Institutionen, die das Bewusstsein des Menschen auslöschen wollen. Die Eingangstür öffnet sich daher wie eine Zugbrücke und dahinter liegt unser Bewusstsein, das durch das Fernsehen zerstört ist - ein dunkler, enger, stickiger Gang, der unsere Identität ohne Seele darstellt."

Wer allerdings die Enge, die eigenen Klaustrophobie und das anschließende Spiegellabyrinth überwunden hat, den erwartet ein Schlafraum mit traumhafter Aussicht auf das kristallklare Meer. Und wer sich etwas vorbeugt, entdeckt hinter einem der umliegenden Hügel ein ungewöhnliche Bauwerk: eine Pyramide. Antonio Presti begleitet uns dorthin. Bei unserem Besuch probt eine Yoga-Gruppe im Inneren.

Eine Pyramide zum Abschluss

Die Pyramide ist Antonio Prestis neuntes und letztes Monumentalwerk der Fiumara d'Arte, ein mahnender und weithin sichtbarer Schlusspunkt, umgesetzt von Mauro Staccioli. Der international bekannte Mäzen ist müde. Sein Kampf gegen die Institutionen ist gewonnen. Der gegen die Mafia scheinbar auch. Zurück bleibt jedoch eine gewisse Ernüchterung, aufgehellt durch eine große Portion Hoffnung.

"Mit dieser Pyramide habe ich den Zyklus der Fiumara d'Arte abgeschlossen", so Presti. "Dieses Werk zeigt das gegenwärtige Sizilien auf. Ich baue sehr auf die nachfolgenden Generationen. Ihre Blicke sollen sich wieder nach oben richten, damit endlich wieder die Schönheit auf unser schönes, aber verdammtes Sizilien herabkommt."

Service

Messina - Fiumare d'Arte
Atelier sul Mare