Neuer Roman von Isabel Allende
Haiti und der große Sklavenaufstand
Die Chilenin Isabel Allende ("Das Geisterhaus") gilt als bekannteste Schriftstellerin Lateinamerikas, starke, charismatische Frauenfiguren prägen ihre Werke. In ihrem neuen Buch "Die Insel unter dem Meer" entführt sie den Leser nach Haiti zur Zeit des großen Sklavenaufstandes.
8. April 2017, 21:58
Kultur aktuell, 10.08.2010
Menschenunwürdiger Alltag
Die französische Kolonie Saint Domingue, das heutige Haiti, wenige Jahre nach der Französischen Revolution. Während in Frankreich die Sklaverei abgeschafft wurde, ist auf der karibischen Insel noch keine Rede davon. Ganz im Gegenteil, meint Isabel Allende, die die historischen Hintergründe für ihren Roman eingehend recherchiert hat.
"Auf den Plantagen in Haiti wurden die Sklaven mit äußerster Brutalität ausgebeutet. Mehr als vier bis sechs Jahre überlebte dort keiner", erzählt Allende. "Es war billiger die Sklaven zu ersetzen, als sie menschenwürdig zu behandeln. Die Sklaven mussten jeden Tag 16 bis 18 Stunden arbeiten und bekamen nur ein Pulver aus verfaultem Fisch zu essen."
In dieser Atmosphäre aus Unterdrückung und Gewalt versucht sich die junge Sklavin Zarité zu behaupten. Als Hausdienerin lebt sie auf einer Plantage fernab der Hauptstadt. Die Wirklichkeit sei hier fantastisch gewesen, meinte der kubanische Schriftsteller Alejo Carpentier einmal über die karibischen Kolonien.
Rokoko und Voodoo
Dieser unglaublichen Welt aus Perücken und Rokoko-Kleidern mitten im malariaverseuchten Urwald setzt Allende ein opulentes Denkmal. Daneben lässt sie aber auch die Kultur der Afrikaner, allen voran deren Voodoo-Glauben lebendig werden.
"Es ist eine wundervolle Religion, in der es nur einen Gott gibt, dafür aber eine Menge an Loas, also Vermittlern zwischen den Menschen und der Gottheit. Ein Medium in Trance wird zu so einem Loa und empfängt die mentalen und körperlichen Kräfte der Gottheit", erzählt Allende.
"Dieser Glaube machte die Sklaven äußerst mutig. Wenn sie in den Kampf zogen, waren sie überzeugt, dass die Seelen der Ahnen von der Insel unter dem Meer gekommen sind, um Seite an Seite mit ihnen zu kämpfen. Jeder verließ sich also auf die Unterstützung von 10.000 Seelen. Dieser Glaube war so stark, dass er sogar auf die französischen Soldaten übersprang."
Was ihnen jedoch nichts half. Denn obwohl Napoleon 30.000 gut ausgerüstete Soldaten in die Karibik entsandte, dieselben Soldaten, die vorher halb Europa für ihn erobert hatten, unterlagen sie gegen das mit nicht viel mehr als Macheten und Peitschen ausgerüstete Sklavenheer.
Liebe, Verrat und Routine
Allendes Hauptfigur Zarité ist mitten drin im Geschehen, verbindet sie doch eine Liebesbeziehung mit einem der Aufständischen. Der folgt dem charismatischen Sklavenführer Toussaint L'Ouverture, der Haiti schließlich eine neue Verfassung gab.
"Das Land wurde unabhängig, es wurde zur ersten schwarzen Republik, aber leider boykottierten die anderen Länder diese junge Nation", sagt Allende. "Die Vereinigten Staaten wollten nicht, dass der Befreiungsgedanke auf ihre eigenen Sklaven übersprang, Frankreich war Haiti natürlich feindlich gesinnt und der Rest Europas hatte seine eigenen Probleme. Die wahre Tragödie war aber, dass die Nachfolger L'Ouvertures die Revolution verrieten und selbst begannen, ihre Bürger als Sklaven an Piraten und weiter an die Vereinigten Staaten zu verkaufen."
Allende weiß in ihrem Epos routiniert die Zutaten zu verteilen, auf die ihre Leser warten. Auf Brutalität und Gewalt folgen da verlässlich Liebe und Leidenschaft. Überraschende Wendungen oder ungewöhnliche Figuren tauchen in "Die Insel unter dem Meer" nicht auf, aber dafür ist die Darstellung Allendes so intensiv, dass man beim Lesen immer wieder das Gefühl hat, Urwaldfeuer zu riechen oder in eine reife Mango zu beißen.