Handke und das Zwischenreich des Halbbewussten

Ein Jahr aus der Nacht gesprochen

Peter Handke hat ein neues Buch geschrieben. Hinter dem geheimnisvollen Titel "Ein Jahr aus der Nacht gesprochen" verbergen sich rätselhafte Sätze, die Handke unmittelbar nach dem Aufwachen notiert hat.

Am 28. August erscheint das neue Buch von Peter Handke und das stellt nichts weniger als ein gewagtes Experiment dar. Der Band "Ein Jahr aus der Nacht gesprochen" versammelt nämlich mehr als 500 kurze Notizen, die alle eines gemeinsam haben. Sie wurden von Handke im Halbschlaf notiert. Zum einen finden sich da die für den Schriftsteller typischen lyrischen Sprachbilder, zum anderen lässt sich Peter Handke aber auch von einer ganz neuen Seite kennenlernen. Peter Handke selbst hat sich derzeit wieder zurückgezogen, der Verleger Jochen Jung konnte aber aus seinem Urlaubsdomizil in Griechenland Interessantes über das Buch erzählen.

Kultur Aktuell, 24.08.2010

Sätze ohne Auf- und Absicht

Begonnen hat Handke vor etwa zwei Jahren mit diesem Selbstversuch. Ihm ging es darum, wie er in einem Interview mit der "Welt" sagte, ins Zwischenreich des Halbbewussten vorzudringen. Nach und nach wurde ihm das Notieren aus dem Schlaf heraus zu einer Lebensweise, denn hier bestand die Möglichkeit zu einer Literatur vor der Literatur vorzudringen. Es seien Sätze, die ihre Absichtslosigkeit auszeichne, sagt Verleger Jochen Jung, Sätze, die sich gebildet haben, sobald die Aufsicht über sie aufgegeben worden sei.

Umgeschrieben wurde deshalb nichts und auch ins Buch gestellt wurden die Notizen einfach in der Reihenfolge ihres Auftauchens. Notizblock und Bleistift lagen während dieses Jahres immer am Nachtkästchen bereit. Doch was sie zu schreiben bekamen, das könnte unterschiedlicher nicht sein.

Überraschende Traumbilder

Einerseits finden sich im Buch die für Handke gewohnten lyrischen Sprachbilder. Vom Hirnhautdonner ist da zu lesen, von Thonetstühlen am Meer und vom Seufzen der Wolkenkratzer. Daneben auch von angehauchten Wörtern, die ihre Bedeutung ändern und von Frauen, die ihren Namen wechseln, wenn sie geküsst werden. Daneben treten real existierende Personen auf, darunter auch solche, die man in Handkes Träumen nicht vermutet hätte. So erscheint ihm der Rapper Eminem und erzählt ihm, dass die Musik "wie die Morgendämmerung sei". Ebenso träumt Handke aber auch vom Dalai Lama auf seinem Bergkanapée und von Brad Pitt bei der Müllabfuhr. Auffallend ist da die Öffnung hin zum Humor, bisher nicht unbedingt ein Grundzug des Handkeschen Schreibens.

Handkes Humor

Weil die Lust am Komischen für Handke so ungewohnt ist, noch drei Beispiele dafür:

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Du bist mein Untergang, aber es gibt Schlimmeres

Anders als die Surrealisten, die durch ihre Traumtagebücher den Strukturen des Unbewussten auf die Spur kommen wollten, sucht Handke die unmittelbare Begegnung mit diesem sprachlichen Rohmaterial. Kreise schließen sich da keine und auch auf Erklärungen wartet man umsonst. Es geht für den Leser einfach darum, sich auf diese Fragmente einzulassen, deshalb zum Abschluss noch eine Empfehlung von Verleger Jochen Jung: "Alle Sätze haben hier ein Lebensrecht. Wenn sie wirken, freuen wir uns, wenn sie nicht wirken, dann lies den nächsten Satz".

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Jung und Jung - Ein Jahr aus der Nacht gesprochen