Die Gotteskämpfer und der Krieg am Hindukusch

Taliban

Der pakistanische Journalist Ahmed Rashid hat den Aufstieg der Taliban aus nächster Nähe verfolgt und dokumentiert. Zehn Jahre nach der Erstveröffentlichung seines Standardwerks über Afghanistans Gotteskämpfer ist eine erweiterte Neuausgabe erschienen.

Überraschender publizistischer Erfolg

Ahmed Rashid hat ein gutes Gefühl für den richtigen Zeitpunkt. Viele Jahre hatte der pakistanische Journalist den Aufstieg der Taliban, der Schüler des Koran, aus nächster Nähe verfolgt und dokumentiert. Sein Buch über die Taliban, über Öl und das neue große Spiel in Zentralasien erschien im Jahr 2000.

Im Jahr darauf ließ der wichtigste Gast der Taliban, Osama bin Laden, die Flugzeugattentate des 11. September durchführen und machte damit Ahmeds Rashids Buch zu einem Beststeller. Plötzlich interessierte sich die ganze Welt für Afghanistans Gotteskrieger. Bereits einen Monat nach den Anschlägen war die deutsche Übersetzung von Rashids umfassendem Buch über die Taliban auf dem Markt.

Frieden mit Einschränkungen

In seinem Werk beschreibt Rashid die Entstehung dieser Bewegung in den pakistanischen Flüchtlingslagern, und ihre Erfolge in Afghanistan. Nach den Jahren des Bürgerkriegs zwischen den verfeindeten Mujaheddin-Gruppen versprachen sie Frieden und Gerechtigkeit.

Mit massiver Unterstützung Pakistans und Saudi Arabiens gelang es ihnen, 90 Prozent des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen. Rashid analysierte in seinem Buch, mit welchen Interessen die Großmächte sowie die Nachbarstaaten in die Geschicke Afghanistans verstrickt sind und wie die Taliban den Alltag der Bevölkerung zur Hölle machten.

Alle Mädchenschulen wurden geschlossen, und den Frauen gestattete man nur in Ausnahmefällen, das Haus zu verlassen; nicht einmal das Einkaufen war ihnen mehr erlaubt. Jede Art von Unterhaltung war strikt verboten. Der Verzicht auf Musik, Fernsehen, Video, Kartenspiel, Drachensteigenlassen und die meisten Sportarten wurde Gesetz.

Rückzug und Neuformierung

Seit dem Jahr 2000 wurde Rashids Buch in 26 Sprachen übersetzt und hat sich längst als Standardwerk zu den Taliban etabliert. Nun, zehn Jahre später, und zu einem Zeitpunkt, da sich die Opferzahlen westlicher Soldaten in Afghanistan deutlich erhöhen, da die Westmächte erkennen, dass sie die Taliban militärisch nicht besiegen können und sich die Stimmen Gehör verschaffen, die dafür plädieren, mit den gemäßigten Taliban in Verhandlungen zu treten, erscheint im C.H. Beck Verlag die erweiterte Neuausgabe seines Buches über die Taliban.

Vier Fünftel sind identisch mit der früheren Ausgabe. Im ergänzenden Teil schreibt Ahmed Rashid die Geschichte der Taliban vom 11. September 2001 bis zum Oktober 2009 fort. Am 7. Oktober 2001 begann mit der Operation "Enduring Freedom" die amerikanische Invasion in Afghanistan. Der Plan, die Bodentruppen der afghanischen Nordallianz durch die US-Luftwaffe zu unterstützen, brachte schnell Erfolg. Bald waren weite Teile des Landes erobert und die Taliban-Führung zur Flucht gezwungen.

Am 5. Dezember gab Mullah Omar Kandahar auf, er selbst entkam auf einem Mofa in die Wüste. Auch Al-Qaida-Führer, unter ihnen Bin Laden, die noch eine Zeitlang in den Tora-Bora-Bergen im Osten Afghanistans ausharrten, zogen sich über die Grenze in die Stammesgebiete Pakistans zurück. Die USA hatten es versäumt, diese Massenflucht zu verhindern, weil Washington den Einsatz von Bodentruppen abgelehnt und sich stattdessen ganz auf die Nordallianz verlassen hatte, um die Flucht des Feindes aufzuhalten. Das war der größte Fehler dieses Krieges.

Fast die gesamte Führungsstruktur der Taliban war intakt geblieben und konnte sich in Pakistan neu formieren.

Bald wurde klar, dass die Bush-Regierung kein großes Interesse daran hatte, Afghanistan wiederaufzubauen oder auch nur genügend Truppen für Sicherheit und Wiederaufbau zur Verfügung zu stellen. Wenige Wochen, nachdem der Krieg in Afghanistan gewonnen war, trainierten US-Truppen bereits für die Invasion des Irak. Afghanistan fiel Bushs Strategie zum Opfer, Ressourcen, Geld und Soldaten für den Irak aufzusparen.

Eine ungenutzte Chance

Das ist Rashids Kernthese für die Zeit von Anfang 2002 bis zum Amtsantritt Barack Obamas 2009: Die USA und mit ihnen die Weltgemeinschaft hätte ein "window of opportunity" nicht genützt. Zu einem Zeitpunkt, da die Taliban schwach und in der Bevölkerung unbeliebt waren, hätten relativ wenige zusätzliche US-Soldaten ausgereicht, um das ganze Land unter Kontrolle zu bringen. Und ein schneller und entschlossener Wiederaufbau hätte Erfolg gehabt. Doch die Landwirtschaft wurde vernachlässigt, den Bauern fehlte Saatgut, so dass ihnen keine Wahl blieb, als wieder Opium anzubauen.

In den Folgejahren, nachdem sich die Taliban konsolidiert hatten, konnten sie durch Steuern auf die Mohnernte ihre Kämpfe wieder finanzieren. Und außerdem verwickelten sich auch immer mehr Politiker unter Präsident Hamid Karzai in das Drogengeschäft und büßten dadurch ihre Glaubwürdigkeit ein.

Neue Strategie, alte Probleme

Die neue US-Regierung unter Barack Obama schenkte Afghanistan und Pakistan wieder mehr Aufmerksamkeit und entsandte zusätzliche Truppen und Militärausbilder. Doch ging fast das ganze Jahr 2009 mit Vorbereitungen der Wahl in Afghanistan verloren. Durch massive Wahlfälschungen hat Präsident Karzai massiv an Glaubwürdigkeit verloren.

In der sechswöchigen Kampagne in Helmand zur Sicherung der Wahlen starben 37 britische Soldaten, 150 wurden verwundet. In dem Dorf Zangabad, Provinz Kandahar, die vollständig von den Taliban kontrolliert wurde, gab kein einiger Bewohner seine Stimme ab, dennoch wurden 2000 Stimmen für Karzai zur Auszählung nach Kabul geschickt. Bei diesem Wahldebakel haben vor allem die Taliban gewonnen.

Politikwechsel im Nachbarstaat?

Im Gegensatz zum früheren Teil des Buches, das seinen besonderen Reiz aus den lebendigen Schilderungen der Begegnungen mit den Taliban-Führern bezog, beschränkt sich Rashid im neuen Teil auf die Rolle des Chronisten und Analysten der Geschehnisse. Lesenswert bleibt auch die Neuausgabe allemal.

Um den Extremismus dauerhaft zu überwinden, plädiert Rashid einerseits für einen Politikwechsel in Pakistan, das derzeit einem Zauberlehrling gleicht, der die herbeigerufenen Taliban-Geister nicht mehr los wird, andererseits für massive Hilfe durch den Westen. In Pakistan könnte die Hilfe bei der Flutkatastrophe einen ersten Schritt in diese Richtung bilden.

Ein umfassendes neues soziales und wirtschaftliches Entwicklungsprogramm ist nicht nur für Afghanistan, sondern auch für Pakistan und Zentralasien dringend nötig, wenn es eine langfristige Antwort auf die Bedrohung durch Taliban und Al-Qaida in der Region geben soll.

Service

Ahmed Rashid, "Taliban. Afghanistans Gotteskämpfer und der neue Krieg am Hindukusch", Aus dem Englischen von Harald Riemann und Rita Seuß, C. H. Beck Verlag

C. H. Beck