Aktuelles Beispiel "Bal"

Aufschwung des türkischen Films

Der türkische Film floriert. In den letzten Jahren sind die Regisseure des Landes mit ihren Produktionen Dauergäste auf den wichtigsten Filmfestivals der Welt. Dabei kam dieser Aufschwung einigermaßen überraschend, denn Mitte der 1990er Jahre befanden sich die Istanbuler Großstudios in der Krise.

Politische Querelen und vor allem der Aufstieg des Fernsehens zum Massenmedium hatten das ehemalige Herzstück der türkischen Kinonation schwer erschüttert. Die Vertreter des neuen türkischen Kinos haben andere Wege gefunden, ihre Visionen zu realisieren. Sie produzieren ihre Filme selbst, häufig mit ausländischer Unterstützung. Ein Paradebeispiel ist das meditative Drama "Bal", das auf der diesjährigen Berlinale den Goldenen Bären gewann. Regisseur Semih Kaplanoglu erzählt darin vom kargen Leben in der Bergwelt Nordostanatoliens.

Fernsehen grub Kino das Wasser ab

Dass die türkische Filmindustrie seit geraumer Zeit wieder floriert, ist vermutlich kein Geheimnis mehr - immerhin sind die Regisseure des Landes mit ihren Produktionen Dauergäste auf den wichtigsten Filmfestivals der Welt. Ein wenig überraschend ist der Aufschwung von Yesilcam, "Green Pine", wie die türkische Filmindustrie analog zu Hollywood genannt wird, aber schon: Mitte der 1990er Jahre lagen die Istanbuler Großstudios nämlich noch in Trümmern.

Politische Querelen und vor allem der Aufstieg des Fernsehens zum Massenmedium haben das ehemalige Herzstück der türkischen Kinonation zum Einsturz gebracht. Regisseur Semih Kaplanoglu steht nun stellvertretend für eine ganze Generation von Filmemachern, die für ihre Produktionen nicht mehr auf große Studios setzen, sondern sie selbst produzieren.

Magisch-realistischer "Bal"

Aus den Landschaften schälen sich die Menschen heraus: in Kaplanoglus naturbewusstem, aber nie esoterischen Kinouniversum sind die Protagonisten nicht trennbar von der natürlichen Umgebung um sie herum. Im Elternhaus des sechsjährigen Yusuf, Hauptperson in "Bal", wird kaum gesprochen: viele Probleme lösen sich von selbst, einiges wird verschwiegen, alles ist still.

Kaplanoglus Bilder sind leicht idealisiert, sein Stil lässt sich am besten als magisch realistisch beschreiben. Die gezielt verwendeten Umgebungsgeräusche – Wind, Wasser, Wetter – und die eingefangenen, vorwiegend natürlichen Lichtspiele, kreieren eine eigene Welt: ähnlich der unseren, aber seltsam ewig. Der Regisseur sieht seine außergewöhnliche Ästhetik auch von der Malerei beeinflusst.

In den letzten Minuten ist Kaplanoglus jüngster Film außergewöhnlich dunkel: Nur selten durchbricht ein sanfter Abendlichtstrahl das Nachtschwarz. Als Zuschauer wartet man fast auf ein wenig Helligkeit; ganz so, als müsste das gesamte Kino erst geboren werden. Für nicht wenige kommt "Bal" einer spirituellen Erfahrung nahe.

Erfolge auf internationalen Festivals

"Bal" ist eines der jüngsten Beispiele für die neue türkische Auteur-Generation, zu der unter anderem auch Nuri Bilge Ceylan, Zeki Demirkubuz und Reha Erdem gehören. Allesamt feiern sie ihren nationalen und internationalen Durchbruch in den 1990er Jahren: einer Zeit also, in der die alte türkische Filmindustrie, Yesilcam genannt, in Trümmern liegt.

Anstatt auf eine Wiedergeburt zu warten, nehmen die Regisseure ihr Glück selbst in die Hand und produzieren ihre Filme unabhängig, oft mit Hilfe von ausländischen Geldgebern. "Bal" entsteht etwa in Koproduktion mit dem deutschen Unternehmen "Heimatfilm". Aber nicht nur international reüssiert das türkische Kino, auch die Nation selbst ist wieder filmfiebrig. Die Besucherzahlen steigen, einheimische Filme erfreuen sich großer Beliebtheit – und selbst die alten, geschlossenen Kino im Istanbuler Beyoglu-Bezirk, dem Herzstück der Yesilcam-Industrie, sollen mit Regierungsmitteln wieder flott gemacht werden.

"Bal", der auf der diesjährigen Berlinale zum besten Film des Wettbewerbs gekürt wurde, ist also nur die Spitze des Eisbergs. Statt einer zentralisierten Filmproduktionsindustrie findet man in der Türkei mittlerweile vorwiegend kleine Unternehmen, die jeweils ihre persönlichen Visionen von Kino vermitteln wollen. Es ist an der Zeit, dass es mehr davon nach Österreich schaffen.

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Kaplan Film - Bal