Mozarts Klavierkonzert in d-Moll

Ode an das KV 466

Mozart ging mit dem Klavierkonzert Nr. 20 weit über die Stil-Konventionen seiner Zeit hinaus und schlug dramatische Töne an, die nicht nur seinen Verehrer Beethoven prägen sollten.

Mein unglücklicher Bruder Martin hinterließ nicht nur eine kleine Bibliothek, sondern auch einiges an klassischer Musik auf CD und DVD. Bei meinen Aufenthalten im Elternhaus begann ich, mir Tonträger aus dieser kleinen Sammlung auszuborgen. Ich war auf der Suche nach Inspiration, und die meiste Popmusik hatte ich für meine Arbeit so oft analysiert, dass sie mir privat keinen Spaß mehr bereitete.

Relativ bald stieß ich auf eine CD mit zwei Mozart-Konzerten für Klavier, Nr. 20 und 21. Eine Aufnahme aus der Galleria-Serie der Deutschen Grammophon, mit einem seltsam nichtssagenden Covermotiv. Friedrich Gulda, Claudio Abbado und die Wiener Philharmoniker hatten die Stücke Mitte der 1970er Jahre eingespielt, mittlerweile waren sie "digitally remastered".

Wohldosierte Irritation

Ich weiß nicht mehr, in welcher Situation ich die CD das erste Mal hörte, aber es geschah doch einigermaßen konzentriert. Die Aufnahme ließ die Streicher mit einem "fade in" sehr leise beginnen, so dass es schwierig war, die richtige Lautstärke zu finden: In einem relativ langen Vorspiel branden die Streicher immer kräftiger an, die Holzbläser gesellen sich dazu, ein erster doch recht dramatischer Klimax entfesselt den Sturm, der schon länger in der Luft liegt ... eben hat man sich eingehört, man vergisst beinahe, dass der große Auftritt noch bevorsteht, da verebbt das Orchester plötzlich, und nach einem wohldosierten Moment der Irritation setzt das Klavier ein.

Vom ersten Mal an war ich von dieser Tonfolge beeindruckt. Der spätere Abgleich mit anderen Aufnahmen des KV 466 bestätigte mir, dass es nicht nur meisterhafte Interpretation, sondern die Komposition an sich war, die den Effekt erzeugte. Wer es schaffte, bei jedem wichtigen Auftritt so eindrucksvoll einzusetzen wie das Klavier an dieser Stelle, der hatte schon halb gewonnen, was immer er wollte – das glaube ich heute noch.

Leichtigkeit und Gravität

Das Konzert (der Komponist) indes will nur spielen und lässt in der Folge die Streicher akzentuieren und vor allem die Holzbläser mit dem Solisten korrespondieren. In einer wohldosierten Balance von Leichtigkeit und Gravität entwickeln sich immer neue Figuren um das wiederkehrende Thema.

Liebliche Flöten und hoppelnde Fagotte erinnern mich an kitschige Wald- und Wiesenszenarien aus Tierzeichentrickfilmen und distanzieren sich zugleich vom falschen Idyll – auf mich wirken diese Passagen wie gute Fotografie, die tatsächlich nur mit dem Licht arbeitet, die Idealisierung vermeidet und die Schönheit im Vorhandenen findet.

Dramatik des Banalen

Der zweite Satz ist ein schlafendes Baby, das plötzlich aufwacht, weil irgendwas zwickt, doch das Kind beruhigt sich wieder und schlummert weiter – eine Dramatik des Banalen, doch sie füllt das Leben aller Beteiligten. Zum dritten Satz habe ich seltsamerweise keine so deutlichen Assoziationen, außer dass er flott und kurzweilig ist.

Ich hörte das Konzert Nr. 20 oft beim Kochen, Essen und Weintrinken, beim feierlichen Brunch zu Neujahr und beim Autofahren, es wurde mir nie langweilig. Auch das andere auf der CD, Nr. 21, populär als Elvira Madigan, ist sehr gut, aber kein Vergleich. Ich hörte noch andere Klavierkonzerte von Mozart, doch KV 466 blieb mein Lieblingsstück. Nichts schien so modern im Kontext der Entstehungszeit, so abwechslungsreich, so ausgewogen und perfekt – und so inspirierend.

Society-Event 1785

Vor allem die Frage, ob meine Empfindung der absoluten Qualität von 466 gerechtfertigt ist, wurde mit der Zeit immer drängender. Was so locker wirkt, folgt doch sicher einem ganz subtilen Plan? Stimmt meine Einschätzung, welche Passagen Folklore, welche Stilmittel und welche Genie sind? Bei aller Liebe zu "meiner Aufnahme" war mir sehr bald klar, dass dieses Konzert zu Mozarts Zeiten nie so geklungen haben konnte. Ein Blick ins Booklet der CD klärte mich über die Umstände der Uraufführung des Werkes auf, offenbar ein Society-Event 1785 – wie soll man sich dieses Szenario im Detail vorstellen?

Diese Fragen will ich über Quellen aus der Zeit (beginnend mit einem Brief von Leopold Mozart), Fachliteratur und Experten beantworten, und vor allem mit Hilfe von Pianisten werde ich Fragen der Interpretation und Werktreue behandeln. Dass die intensive Analyse mir das Konzert verleiden könnte, glaube ich kaum. Das KV 466 hat mir einen neuen Zugang zu allen Arten von Musik eröffnet...

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