Eine journalistische Anekdote

Es war einmal - und es war einmal schön!

Wir schreiben den 14.10.1966. Die 1958 aus den Trümmern der RAVAG entstandene Österreichische Rundfunk Ges.m.b.H. ist fest in Parteienhand. Zum Auftakt der neuen Saison im Nationalrat trifft sich die SPÖ - damals in der Opposition - zu einer Klubtagung in Bad Aussee.

Auf dem Programm stehen eine Analyse der politischen Lage, ein Vortrag über die sozialdemokratischen Alternativen zu einer bürgerlichen Wirtschaftspolitik, Visionen zum Budget des Jahres 1967 und ein Bericht über den abgeschlossenen Finanzausgleich.

Der ORF berichtet. Was nicht weiter verwundert. Was aber schon verwundert: Die Granden der Sozialdemokratie werden am Ende des Beitrages von einem der ihren interviewt - vom 28-jährigen Sekretär der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion, Heinz Fischer. Der heutige Bundespräsident machte keine schlechte Figur, sprach auch gut. Aber wie kritisch konnte er seinen eigenen Leuten gegenüber sein? Wer im ORF war damals auf die Idee gekommen, den Sekretär der Parlamentsfraktion zum Interviewer zu machen? Welches Verständnis von Journalismus stand hinter Entscheidungen wie dieser (die natürlich kein Einzelfall war)?

Einige Jahre zuvor, im Jahr 1964, hatte der damalige Chefredakteur des "Kurier" und spätere Chefreporter des ORF, Dr. Hugo Portisch, das erste Volksbegehren der zweiten Republik gestartet: das "Rundfunkvolksbegehren". Ziel war es, den ORF per Gesetz aus der Tagespolitik und den jeweils herrschenden politischen Verhältnissen herauszuhalten, und ihn zu einem unabhängigen und demokratiefördernden Medium zu machen. Am 12. Oktober 1964, dem Tag vor meiner Geburt, hatten Dr. Portisch und seine Mitstreiter/innen 832.353 Unterschriften für einen proporzfreien ORF, Radio und Fernsehen, gesammelt. Unter diesen Voraussetzungen konnte ich auf die Welt kommen.

Im Juli 1966, also drei Monate vor Heinz Fischers Auftritt als Interviewer seiner Parteigenossen, wurde im Nationalrat ein neues Rundfunkgesetz beschlossen. Es war der Grundstein für die Erfolgsgeschichte des öffentlich-rechtlichen ORF. Mit 1. Jänner 1967 trat es in Kraft. Der junge Parteisekretär Fischer durfte ab nun nur mehr als Interviewter auftreten.

Ist es vorstellbar, dass am 14.10.2010, einem Donnerstag, dem Tag nach meinem 46. Geburtstag, irgendeine der heimischen politischen Parteien eine Klubtagung veranstalten wird und einer der ihren einen der ihren interviewen wird? Schau ma mal!

Übersicht

  • Medien