Humorvoller Roman von Peter Hoeg

Die Kinder der Elefantenhüter

Rickardt Graf Tre Lover ist steinreich und hat eine recht schöne Kindheit hinter sich. Doch als Jugendlicher machte er mit Heroin Bekanntschaft. Nach erfolgreichem Drogenentzug hat er sich gleich zum Therapeuten ausbilden lassen, um anderen zu helfen.

Der Graf ist Exzentriker erster Ordnung: Er trägt zu Zeiten hochhackige Cowboystiefel und eine gelbe Lederhose, als Kopfschmuck dient ihm eine durchlöcherte Badekappe. Er ist Chef einer Loge spirituell Suchender, angeblich geben ihm kleine Kobolde lebenswichtige Ratschläge. Und der Graf singt gern zu seiner "Erzlaute" – das klingt dann ähnlich, wie wenn Troubadix seine Stimme erhebt. Außerdem mag der Graf Weiblein wie Männlein gleichermaßen gerne.

Er leckt sich die Lippen, und Tilte und ich können sehen, dass Möglichkeiten durch seinen Kopf gehen, die ich nicht weiter ausbreiten möchte, weil das, was ich hier erzähle, eigentlich für die ganze Familie gedacht ist, "All-Age" sozusagen.

Abenteuer für Peter und Tilte

Der Ich-Erzähler in Peter Hoegs neuem Roman "Die Kinder der Elefantenhüter" ist der 14-jährige Peter. Gemeinsam mit seiner um zwei Jahre älteren Schwester Tilte hat er so manches Abenteuer zu bestehen. Und stürmisch geht es in Hoegs Roman allemal zu. Denn nichts Geringeres als das Gelingen des ersten Kongresses aller Weltreligionen steht auf dem Spiel.

Rickardt Graf Tre Lover hilft den beiden jungen Helden so gut er kann. Im Roman nimmt er die Mittlerposition zwischen Kindheit und Erwachsensein ein. Er ist kokett, kindlich-spirituell, aber durch seine Drogenerfahrungen weiß er, was auf der Welt zählt und wo Gott wohnt.

"Humor braucht Mut"

Der dänische Autor Peter Hoeg behandelt in seinen Romanen gern Themen wie Spiritualität und Religiosität - jenseits aller Dogmatik. Und Kinder stehen öfters im Zentrum des Geschehens. Gänzlich neu ist hingegen Hoegs Sprachwitz und sein Humor. Man könnte sagen, wer "Die Kinder der Elefantenhüter" gelesen hat, ohne öfters laut aufzulachen, dem hilft auch kein Seminar in einer Humorschule weiter. Wie ist der Autor Peter Hoeg beim Schreiben des Romans auf den Humor gekommen?

"Vielleicht gibt es zwei Gründe. Einer ist, ich hatte immer Lust dazu, mehr zum Humor überzugehen. Aber man braucht einen gewissen Mut, weil Humor hat mit einer bestimmten Unbeschütztheit zu tun. Wenn ich einen Witz sage und niemand lacht, dann entsteht ein Gefühl von Leere. Und ich hatte, glaube ich, vorher nicht den Mut, mich in die Arme von Humor fallen zu lassen. (...) Das ist ein Teil der Frage. Ein anderer Teil ist, der Hintergrund dieses Buches hat mit der Konfrontation zwischen den Weltreligionen zu tun. Und hat auch mit dem Unterschied zwischen Glaubenssystemen, dogmatischen, religiösen Glaubenssystemen und praktischer Erfahrung und mystischem Training zu tun. Und diese Fragen sind so ernst, dass man sie am besten mit einem gewissen Humor nährt, weil je ernster und je düsterer die Frage, umso mehr Leichtigkeit und Lustigkeit braucht man, glaube ich."

Keine Antwort auf Glaubensfragen

Probleme in Peter Hoegs Roman bereiten nicht die Kinder, sondern die Eltern. Vater Konstantin ist evangelischer Pfarrer auf der dänischen Insel Fino, seine Frau Clara hilft als Organistin mit. Ihr eigentliches Metier sind Erfindungen von technischen Gerätschaften, deren Sinn man in Frage stellen kann, etwa ein Öffnungsmechanismus für den Vorratskeller per Stimmerkennung.

Dabei ist die Frage nach dem Sinn des Lebens ihr gemeinsamer Ort. Doch auf gewisse Glaubensfragen, wie der nach der Auferstehung des Fleisches, wissen sie keine Antwort. Also zweifeln sie. Aber sind nicht ein zweifelnder Pfarrer und eine ebenso zweifelnde Pfarrersfrau ein Witz, ja, ein Betrug an der Gemeinde?!

In dieser existenziellen Not naht Rettung. Bei der nächsten Sonntagsmesse, es geht um Jesu Verklärung auf dem Berge, spielt die Natur mit: Erst ist die Kirche auf Fino in Nebel eingehüllt, dann bricht die Sonne durch und richtet einen festen Strahl auf das Altarbild. Zu guter Letzt betätigt eine verirrte Schleiereule die Glocke. Pfarrer, Pfarrersfrau und Gemeinde sind tief bewegt. Und damit dieses mystische Gemeinschafterlebnis wiederkehrt, helfen die beiden in Zukunft nach: Eine weiße Taube erscheint während der Messe, die technisch versierte Clara lässt Nebelschwaden entstehen. Als die beiden noch einen Schritt weitergehen, leisten die Kinder Winderstand.

Als dann zwei Sonntage später Vater auf der Kanzel wieder mit der Offenbarung des Johannes zugange ist und diesmal irgendeine Stadt einstürzt und im selben Augenblick mit großem Radau eine Bleiplatte vom Dach donnert, was sich eine Minute später wiederholt, entschließen sich Tilte und ich, auf unbestimmte Zeit nicht mehr mit unseren Eltern zu sprechen.

Tournee mit Mystik-Show

Doch Pfarrer und Pfarrersfrau hören nicht auf ihre Kinder. Sie sind von den mystischen Erlebnissen – die sie ja selbst erzeugen! – völlig benebelt. Und es kommt, wie es kommen muss: Peters und Tiltes Eltern verlassen Haus und Kinder, reisen mit ihrer Mystik-Show durchs ganze Land - und werden berühmt. Als man den beiden himmlischen Betrügern dann doch auf die Schliche kommt, breitet die Amtskirche schützend ihren Mantel des Schweigens über sie.

Bei aller Ironie, mit der Hoeg dieses Szenario beschreibt, wird doch im Roman ersichtlich, dass es gar nicht wenig Menschen gibt, die sich nach echter Spiritualität sehnen – und dass sie sich allein gelassen fühlen bei den großen Fragen um Leben und Tod. "So wir haben eine Kirche, die auf Dogmen gebaut ist, die die Leute nicht mehr glauben", sagt Hoeg. "Und es gibt keine Instrumente und mystische Tradition in Europa, die eine Suche nach diesen Fragen in einer erfahrungsmäßigen Weise stützen kann. Und das ist von der Kirche ein Fehler, ein Mangel."

Der erste Kongress aller Weltreligionen

Zwei Jahre ist es nun her, dass Peters und Tiltes Eltern mit ihre Mystik-Show auf die Nase gefallen sind. Doch plötzlich sind die beiden neuerlich verschwunden. Die Kinder ahnen nichts Gutes. Denn in Stockholm findet der erste Kongress aller Weltreligionen statt. Begleitet wird er von einer Ausstellung kostbarster religiöser Kunstschätze. Möchten Peters und Tiltes Eltern den Schatz rauben? Oder sind sie bei ihren kriminellen Plänen auf noch etwas Schlimmeres gestoßen? Nämlich dass Terroristen, religiöse Fundamentalisten, den Weltkongress und die Ausstellung vereiteln wollen? Nichts Genaues weiß man nicht – aber eines ist sicher: Die Elefanten sind los! "Elefantenhüter" nennt Tilte ihre Eltern. Und der Elefant in ihnen meint die große Sehnsucht, die sie haben. Eine Sehnsucht, die das Normalmaß des Glaubens übersteigt und ein festes Wissen über Gott und die Welt herbeiwünscht.

Und nicht nur Vater, auch Mutter lebt in erster Linie dafür, das ist die Sehnsucht, die ihren Augen die Wehmut verleiht, eine Sehnsucht, groß wie ein Elefant, und wir erkennen, dass sie nie richtig erfüllt wurde.

Solange man seine Sehnsucht im Griff hat, ist mehr oder weniger alles in Ordnung. Doch beginnt sie alles Denken und Tun zu bestimmen, sollte man vor dem wehmütigen und zugleich wild gewordenen Elefanten in einem auf der Hut sein. Es wird Zeit, dass Peter und Tilte ihre Eltern finden.

Alle Sprachregister gezogen

Im Roman "Die Kinder der Elefantenhüter" gelingt es Peter Hoeg auf ausgezeichnete Weise, Sprachwitz, Ironie und Lebensweisheit stringent zu verbinden. Auch die Handlungsstruktur im Roman ist völlig nachvollziehbar. An dieser Stelle sei der Übersetzer genannt. Auch wer des Dänischen nicht mächtig ist, der merkt, dass Peter Urban-Halle alle Sprachregister gezogen hat, um aus dem Original ein deutschsprachiges Lesevergnügen zu machen. Peter Hoegs positive Weltsicht wird deutlich vor Augen geführt, die in echten Bösewichten noch einen guten Kern freilegt, die freie Religionsausübung einfordert und dabei meint, dass ohne ein bisschen Spiritualität ein geglücktes Leben kaum möglich ist.

"Nur etwas ist gewagter als die Begründungen für die Gesetze der Weltreligionen, das sind die Begründungen dafür, dass man sie bricht", heißt es an einer Stelle im Roman. Nur, ohne Freude, Sex, Essen und Trinken geht es auch nicht. Ein paar Drogen schaden ebenfalls niemandem, würde Rickardt Graf Tre Lover ergänzen. Und Tilte hat bereits mit 16 Jahren zwei "Hauptsätze der Liebe" aufgestellt:

1. Nimm stets deinen Mann mit, wenn du ins Bordell gehst. 2. Lass das Herz dort, wo die Natur es hingesetzt hat.

Das verdient durchaus Respekt. Zugleich erhebt sich jetzt die Frage, ob "Die Kinder der Elefantenhüter" wirklich "All-Age" ist, also für viele Altersstufen geeignet ist, wie ja im Roman behauptet wird. "Ich habe einen Traum oder eine Hoffnung", so Hoeg. "Als ich das Buch schrieb, stellte ich mir das vor, was ich mir am meisten wünschte. Das war, dass dieses Buch in einer Familie vorgelesen wird, wo drei verschiedene Generationen zu hören sind. Weil als Familienmensch und Vater weiß ich, dass die Kultur getrennt ist. Es gibt eine Kultur für Kinder, eine Kultur für Junge und eine Kultur für uns Ältere oder Erwachsene. Diese Getrenntheit ist ja eine Nuancierung und Möglichkeit. Aber ich fühle mich ein bisschen traurig. Ich suche immer Situationen, wo die Familie ein Erlebnis teilen kann. Wenn dieses Buch ein Erlebnis für eine komplette Familie werden könnte, dann wäre ich komplett glücklich."

Ganz zu Anfang des Romans sagt Peter: "Es ist nie zu spät für eine geglückte Kindheit." Möchte Peter Hoeg mit seinem neuen Roman auch sagen: Seht her! Es ist - fast! - nie zu spät für ein geglücktes Leben? "Ja, das möchte ich sagen!"

Service

Peter Hoeg, "Die Kinder der Elefantenhüter", aus dem Dänischen übersetzt von Peter Urban-Halle, Carl Hanser Verlag 2010

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