Altmeister des französischen Kinos
Filmemacher Claude Chabrol gestorben
Der Regisseur und Altmeister des französischen Kinos, Claude Chabrol, ist tot. Wie das Pariser Rathaus mitteilte, starb Chabrol am Sonntag im Alter von 80 Jahren. Chabrol, von Kritikern auch als "zynischer Moralist" bezeichnet, hat in seiner 50-jährigen Karriere über 60 Filme gedreht, darunter "Das Biest muss sterben", "Stille Tage in Clichy" und "Die Phantome des Hutmachers".
8. April 2017, 21:58
Abendjournal, 13.09.2010
Ein Sprecher von Bürgermeister Bertrand Delanoë würdigte Chabrol als einen der großen Cineasten Frankreichs, der für seine Freiheitsliebe und seine Unerschrockenheit bekannt geworden sei. "Danke, Claude Chabrol, wir danken Dir für dein Kino", erklärte der Sprecher Christophe Girard.
Seit mehr als 40 Jahren machte er Filme, in denen er schonungslos hinter die Fassade der bürgerlichen Gesellschaft blickt und tief in die menschlichen Abgründe. Auch im hohen Alter macht der Bonvivant seinem Ruf als Workaholic alle Ehre: Einer seiner letzten Filme war "Kommissar Bellamy", der 2009 auf der Berlinale zu sehen war. Dabei war Chabrol für sein Lebenswerk mit der Berlinale Kamera ausgezeichnet worden.
"Unsere Generation dachte nicht an Karriere, wir wollten Werke schaffen. Ich bin nicht sicher, ob heute wirklich versucht wird, Filme zu machen", meint der Meister seines Fachs. Chabrol war kritisch, nicht nur der Bourgeoisie gegenüber, die er kannte, denn er ist ein Kind dieser Gesellschaftsschicht, deren Scheinheiligkeit er unermüdlich anprangerte.
Er beobachtete die Menschen und ihr buntes Treiben. Filmfestivals und ihre Preise waren für ihn Schaufenster der Eitelkeiten und des Scheins. Er verglich sie mit Tombolas, die nicht viel mit der Qualität der Filme zu tun haben, die sie zeigen und prämieren. Cannes war für ihn medialer Zirkus. "Es gibt nicht mehr Bling-Bling als diese Leute, die den roten Teppich in Abendgarderobe hinaufstolzieren und die meiste Zeit damit verbringen, dieses Bling-Bling-Schauspiel zu kritisieren", sagte Chabrol.
Kompromisslos, zynisch, gnadenlos ehrlich. Eigenschaften, die ihn und sein Werk auszeichneten. Denn nichts machte er in seinen Filmen lieber, als Unaufrichtigkeit, Falschheit, Engstirnigkeit und Egoismus des Bürgertums zu entlarven, um daraus erfolgreich hintergründige Provinz- und Familiendramen zu zaubern - gern mit Inzest oder Mord angereichert. Eine Mischung, deren Grundformel der Regisseur nicht während seines Pharmaziestudiums erlernt hatte. Chabrol stammte aus einer Apothekerfamilie und begann das Studium der Pharmazie und Literatur nur seinem Vater zuliebe. Zum Film kam er nicht wie viele seiner Zeitgenossen als Regieassistent, sondern als Kritiker bei der Fachzeitschrift "Cahiers du cinéma".
Mitbegründer der Nouvelle Vague
Chabrol gehörte jener Generation an, die vor mehr als 50 Jahren die Nouvelle Vague gegründet hat. Eine Bewegung, die sich gegen das etablierte, verkrustete und zu angepasste Kino wehrte. Sie wollte mehr Individualität, mehr Tiefe und keine Massenprodukte. Das Schlagwort des "Autorenfilms" entstand, dessen Markenzeichen der unverkennbare, individuelle Stil des jeweiligen Regisseurs ist. Seit dem Tod von François Truffaut und Eric Rohmer war Chabrol neben Jean-Luc Godard einer der letzten Regisseure der Nouvelle Vague.
Mit mehr als 60 Kinofilmen hat er mehr Filme gedreht als seine Vorbilder Fritz Lang und Alfred Hitchcock. Kaum ein französischer Regisseur ist in Deutschland so bekannt wie Chabrol, der sich mit Filmen wie "Die untreue Frau", "Der Schlachter", "Das Biest muss sterben", "Der Bruch", "Vor Einbruch der Dunkelheit", "Süßes Gift" und "Die Blume des Bösen" einen Namen machte. "Warum ich mich darauf versteife, die doppelte Moral der Bourgeoisie zu entlarven, könnte nur ein Psychiater herausfinden", hat Chabrol einmal gesagt. An seiner katholischen Erziehung liege es jedenfalls nicht, sie habe keine Spuren hinterlassen. Mit anderen Worten: Chabrol war von Natur aus ein zynischer Moralist.
Text: APA
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"Die zweigeteilte Frau", 14. September 2010, 0:05 Uhr, ORF 2