Chinesen schützen Privatsphäre

Volkszähler vor unlösbaren Aufgaben

Am 1. November beginnt in China die Volkszählung. Schon jetzt aber werden in Peking die Haushalte erhoben. Doch immer mehr Volkszähler geben auf. Sie sind überfordert, erhalten nicht das versprochene Geld und kämpfen gegen ein neues Phänomen an: Die Chinesen entdecken ihre Privatsphäre und sind zögerlich bei der Herausgabe persönlicher Daten.

Mittagsjournal, 14.09.2010

Seit einem Monat unterwegs

Offiziell leben 1.3 Milliarden Menschen in China. Ob diese Zahl wirklich stimmt, wird immer wieder angezweifelt. Jetzt unternehmen die Behörden einen neuen Versuch, der Wahrheit näher zu kommen. In ganz Peking gibt es 100.000 von ihnen, und unterwegs sind sie nun schon seit einem Monat immer zu zweit: die Volkszähler in ihren weißen T-Shirts, den Informationsblättern und dem umgehängten Ausweis.

Begrenzte Auskunftsfreude

Jeder Volkszähler soll gerade einmal für hundert Haushalte zuständig sein. In ganz China hat man sechs Millionen Freiwillige angeheuert. Ab November zählt man die Menschen, jetzt erhebt man die Haushalte. Wenn man jemanden bei Tag nicht erreicht, kommt man am Abend zurück. Wird eine Information falsch eingeholt, muss man den Besuch wiederholen. Aber was soll man tun, wenn man an jemanden gelangt, der partout nichts über sich verraten will? Das ist nämlich das jüngste Phänomen.

Volkszähler geben auf

Mit dem Wohlstand kommt auch in China ein Gefühl für Privatsphäre auf, was bedeutet, dass sich so mancher der Kontrolle verweigert. Dass die Informationen wirklich vertraulich behandelt werden, glaubt in China ohnehin niemand. Der Job der Volkszähler ist hart. So viele von ihnen haben zuletzt schon das Handtuch geworfen, dass jene, die eigentlich als Notreserve gedacht waren, jetzt auch schon rund um die Uhr arbeiten. Ob sie das dafür versprochene Geld wirklich sehen werden, bleibt fraglich.

Suche nach repräsentativem Bild

Volkszählerin Li bleibt dennoch optimistisch: "Die meisten Menschen unterstützen die Volkszählung. Von zehn Haushalten, die ich tagsüber besuche, werde ich in acht sehr freundlich empfangen." Das wäre eigentlich auch nötig. Denn mit dieser sechsten Volkszählung versucht China, ein wirklich repräsentatives Bild zu erhalten. Erstmals werden auch die in China lebenden Ausländer gezählt, und anders als bei den bisherigen Volkszählungen entscheidet nicht der Hukou, also die Niederlassungsbescheinigung, wo man gezählt wird, sondern der tatsächliche Wohnsitz. In China ist man laut Hukou entweder Städter oder Landmensch. Und man bleibt in seiner Kategorie auch, wenn man wie 200 Millionen Wanderarbeiter längst vom Land in die Stadt gezogen ist.

Besser als die USA?

Aber die Versuchung ist groß, falsche Angaben zu machen. Wo nicht mehr als ein Kind erlaubt ist, werden Kinder verschwiegen. Wenn man selbst illegal in der Stadt ist, will man auch keine Angaben machen. Die obersten Volkszähler meinen, dieses Risiko minimieren zu können. Erstens, in dem man besonders viele Volkszähler angeheuert hat, die sich in ihren jeweiligen Sprengeln auch besonders gut auskennen, also zumeist zum Nachbarschaftskomitee gehören. Zweitens, indem man auf Kader und Intellektuelle einwirkt, wiederum auf die Nachbarn einzuwirken und nicht zuletzt durch Nachkontrolle, meint der stellvertretende oberste Volkszähler Pekings, Gu Yanzhou: "Sicher kann uns die eine oder andere Information entgehen, aber das bleibt im vertretbaren Rahmen. Ich bin davon überzeugt, dass wir es hier in China besser machen als die USA."

Eineinhalb Jahre Dauer

Noch gibt es in China keine Sanktionen für Falschangaben, das soll sich aber ändern. Denn auf Appelle allein will man sich nicht so recht verlassen. Immerhin, so meint Herr Gu, sind richtige Informationen wichtig für künftige Entscheidungen über neue Infrastruktureinrichtungen, wie Krankenhäuser oder Schulen. Hat er jetzt schon eine Prognose, wie viele Chinesen man am Ende gezählt haben wird? - "Das kann ich jetzt nicht sagen. Aber es werden sicher mehr als 1,3 Milliarden sein, aber wohl weniger als 1,4 Milliarden." Ob das stimmt? Auf die offizielle Zahl wird man jedenfalls noch länger warten müssen. Erst im Juni 2012 soll die Volkszählung im bevölkerungsreichsten Land der Erde beendet sein.