Widersprüche um jungen Asylwerber

Selbstmord oder Bürokratieopfer?

Nach dem Selbstmord eines Schubhäftlings aus Afghanistan häufen sich Widersprüche. Laut zuständiger Behörde war der junge Afghane nicht minderjährig. Doch nun wurde bekannt, dass das Wiener Jugendamt sogar die Obsorge für ihn beantragt hat - was nur bei Minderjährigen der Fall ist. Hintergrund: Minderjährige Asylwerber müssten von den Behörden mit besonderer Vorsicht behandelt werden.

Mittagsjournal, 15.09.2010

Laut Aktenlage nicht minderjährig

War der Schubhäftling nur ein Opfer seiner selbst oder auch ein Opfer der Bürokratie? Der für den Fall zuständige Bezirkshauptmann von Baden, Helmut Leiss, hat angegeben, der Afghane sei laut Aktenlage nicht minderjährig, also über 18 Jahre alt gewesen. Demnach hätte er von den Behörden nicht mit der für Jugendliche vorgesehenen besonderen Vorsicht und gelinderen Mitteln behandelt werden müssen.

Als 16-Jähriger geführt

Doch die Sprecherin des Wiener Jugendamts Gabriele Ziering sagt: "Nach unserem Wissensstand war er minderjährig, darum haben wir auch die Obsorge beantragt." Und zwar auf Antrag des AKH-Wien, als der Afghane nach dem Selbstmord-Versuch im Koma lag. Im polizeilichen Einvernahme-Akt, der dem Falter und nun auch Ö1 vorliegt, wird der Afghane als 16-Jähriger geführt.

Vor Entscheidung Selbstmord

Das Innenministerium untersucht nun den Fall. Ministerin Maria Fekter (ÖVP) zu vorläufigen Erkenntnissen: "Wir hatten drei verschieden Altersangaben von ihm. Handwurzelröntgen wurde nicht gemacht weil er ja in Schweden einen Asylantrag gestellt hatte und daher für uns die Konsultation mit Schweden im Vordergrund stand. Und da ist es unerheblich, wie alt er ist." Es habe aber auch Überlegungen gegeben, in Österreich ein Asylverfahren durchzuführen. Das sei aber nicht mehr entschieden worden, weil der Asylwerber Selbstmord begangen hat.

Vorwurf gegen Rechtsberaterin

Selbstmord, womöglich wegen der drohenden Abschiebung nach Schweden, vor der der Asylwerber dem Einvernahmeprotokoll zufolge Angst hatte, weil er dort von einem anderen Asylwerber missbraucht und entehrt worden sei. Heinz Fronek vom Verein Asylkoordination übt Kritik an den Behörden und einer Asylwerber-Rechtsberaterin: Es sei nicht unternommen worden, um dem Jugendlichen ärztliche Unterstützung zukommen zu lassen und zu verhindern, dass so ein traumatisierter Jugendlicher in Schubhaft genommen werde. Die vom Innenministerium bezahlte Rechtsberaterin war heute nicht erreichbar.

Umrechnungsfehler?

Übrigens: Dass unbedingt der Asylwerber selbst unterschiedliche Angaben zu seinem Alter gemacht hat, bezweifelt der Verein Asylkoordination. Meist würden Afghanen ihr Geburtsdatum nach dem iranischen Sonnenkalender angeben. Bei der Polizei komme es dann öfters zu Umrechnungsfehlern.