Warum Ö1 darüber nicht berichten kann

"Semele" im Theater an der Wien

Am Theater an der Wien hat am Mittwochabend Georg Friedrich Händels Oper "Semele" Premiere. Inszeniert hat Robert Carsen, dirigieren wird William Christie und in der Titelpartie ist Cecilia Bartoli zu hören. Leider können wir darüber aber aus verschiedenen Gründen nicht berichten.

Kulturjournal, 15.09.2010

Zwei Arten von Künstlern

Wie definiert sich heute ein Star? Ein Stern am Opern- und Konzerthimmel? Die Antworten sind mannigfaltig. Zwei seien als Beispiele herausgegriffen.

Da gibt es jene, die über Jahrzehnte Außergewöhnliches leisten, charismatisch sind und von Publikum und Presse deshalb als Stars tituliert werden - als Publikumslieblinge, als Götter am Musikhimmel. Viele von ihnen sind umgänglich, oft sogar extrem bescheiden wie einst der Dirigent Carlo Maria Giulini oder der große Bass Nicolai Ghiaurov, der sogar im Wiener Telefonbuch zu finden war und fast zum Entsetzen seiner weiblichen Fans auch selbst den Hörer abgehoben hat.

Dann gibt es jene Künstler, deren Potential früh von geschäftstüchtigen Managern erkannt wird und die daraufhin eine Kunstfigur kreieren. Ein Heer von Managern, Verwertungsgesellschaften, Agenten und Anwälten ist peinlichst darauf bedacht, kein unretuschiertes Foto erscheinen zu lassen, keine unredigiertes Interview, keine Aufnahme in der auch nur der Hauch einer musikalischen oder stimmlichen Unkorrektheit zu hören ist. Da wird retuschiert, kontrolliert, zensuriert, denn das zu vermarktende Gesamtkunstwerk darf nicht angekratzt werden.

Typ zwei: schwierig

Der zweite Künstlertyp macht vor allem dem Medium Radio objektive Berichterstattung sehr schwer, im Fall "Semele" unmöglich: Ö1 wurde aus unerfindlichen Gründen kein Probenmitschnitt zur Verfügung gestellt und die Diva dürfe während der Probenarbeit nicht durch Interviews gestört werden, ließ das Management verlauten. Außerdem ist der Zugang für Radioredakteure erst in den letzten 20 Minuten der Premiere möglich und die ausgewählten Musikaufnahmen werden einer Zensur unterzogen.

Fragen über Fragen

Warum gibt es Künstler, die einen derartigen Aufwand nicht notwendig haben, die auch den Mut zum kleinen Defekt, zum Menschlichen besitzen und dadurch umso liebenswerter werden? Und warum gibt es solche, die der eigenen Liveleistung nicht vertrauen, wie sie das Publikum doch allabendlich an den Opernhäuser und Konzertpodien zu hören bekommt? Warum muss alles hundertprozentig perfekt und abgesichert sein?

Ist das der Fluch der heutigen Tonträgerindustrie, in der man Studioaufnahmen den Vorzug gibt und Livemitschnitte nach Möglichkeit meidet? Oder ist es der Fluch eines aufgeblasenen Managements, in dem sich jeder profilieren muss um seine Daseinsberechtigung zu dokumentieren?

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Theater an der Wien - Semele