Selftrackers

Datensammler in eigener Sache

Zahlen sind fast überall Grundlage von Entscheidungen, nur im privaten Alltag ist das Sammeln von Daten verpönt. Pedantisch aufschreiben, was man tut? Immer mehr Amerikaner tun das: "Selftrackers" werden sie genannt.

Die Daten-Fetischisten sammeln manisch Zahlen aus allen Bereichen ihres Lebens, im Vertrauen darauf, dass sie so bessere Entscheidungen treffen - auch wenn sie mitunter noch gar nicht wissen, in welcher Sache Entscheidungen treffen zu wären.

Persönliche Datenerfassung

In Gebäude 215 der New York University haben sich gut zwei Dutzend Leute versammelt. Männer sind dabei und Frauen, die meisten sind zwischen 30 und 40 Jahre alt. Sie sind Anhänger der Bewegung "The Quantified Self" und erfassen als solche minutiös allerlei Daten aus ihrem persönlichen Leben. Selftrackers werden sie genannt.

Alexandra Jacobi trinkt ihr Glas leer und macht dann direkt eine Notiz in ihrem Smartphone. "Ich schreibe alles auf, was mit meinem Körper zu tun hat, wie viel Wasser ich trinke ist Teil des Ganzen. Oft mache ich das nur aus Spaß. Es gibt zum Beispiel keinen Grund, warum ich zum Beispiel auch jede Yogaklassen notiere, an der ich teilnehme. Aber wenn mich jemand fragt, kann ich sagen, dass ich bislang 471 Kurse belegt habe, ich will so etwas einfach wissen."

Gesund durch das Sammeln von Daten?

Der Mensch erfasst sich selbst als statistische Kreatur. Homo statisticus. Alexandra Jacobi ist noch ein harmloser Fall. A.J. Jacobs, ein hagerer Mittdreißiger mit schütterem Haar, durchforstet Diagramme auf seinem MacBook Pro. Er misst konsequent 40 Variablen aus seinem Alltagsleben, seine neueste Besessenheit: A.J. hat seine DNA an eine Firma geschickt und auf erbliche Vorbelastungen hin analysieren lassen. Durch die gezielte Digitalisierung des eigenen Ichs hofft er, gesund zu bleiben. Er hat sich einen sogenannten "Fitbit" angeschafft.

"Das ist ein kleiner Sensor, den du am Handgelenk trägst. Das Gerät zählt zum Beispiel, wie viele Schritte du gehst und wie gut dein Herz schlägt. Die Idee dahinter ist, Störungen in deinem Körper zu erkennen, ehe sie in Krankheiten ausarten. Meine Freunde nennen mich einen "Geek", aber ich glaube an das Selftracking. Es wird grösser und grösser werden und zu einem Punkt kommen, wo es nicht mehr Selftracking heißt, sondern einfach nur als menschlich gilt. Es wird so normal sein wie jede andere Matrix", sagt Jacobs.

Endlose Möglichkeiten

Nicht mehr kommentieren, selber machen ist das Zauberwort. Die Quantified Self Jünger treffen sich einmal im Monat, um die neuesten Tracking- und Analysetools zu besprechen. Fakt ist, dass es in der schönen neuen Gadget-Welt immer einfacher wird Daten aus dem ganz persönlichen Alltag zu sammeln. Man muss nicht mehr zum Excel-Freak mutieren, um sein Leben online zu dokumentieren.

Die Möglichkeiten zum Selftracking sind schier endlos. Zu fast jedem Lebensbereich gibt es inzwischen eine kleine Web- oder iPhone-App, in manchen Fällen sogar ein ganzes Social-Network drum herum.

Mit BrightKite lassen sich alle Aufenthaltsorte per GPS lokalisieren. ReadMore dokumentiert, wie lange und mit welcher Geschwindigkeit der User liest. Wakoopa macht bewusst, wann man wie viele Stunden auf Facebook oder Twitter verschwendet. Mon.thly.info ist ein Tracker, der zur rechten Zeit ein SMS los sendet, um die moderne Frau an das Mitnehmen von Tampons zu erinnern. BedPosted registriert die intimsten Details des Sexuallebens: Wie war es letzte Nacht, wie lange und wie gut und mit wem überhaupt?

"Eine prima Therapie"

Aber ist es nicht so, dass die permanente Eingabe von Daten irgendwann zu viel, zu überfordernd wird? Alexandra Jacobi schüttelt den Kopf. Die Mittvierzigerin ist die Ruhe selber. Sie verweist darauf, dass es mittlerweile zahllose Sensoren gibt, die die gewünschten Variablen automatisch erfassen. Und außerdem:

"Bevor ich mit dem Selftracking begonnen habe, vergeudete ich viel Zeit und Geld bei meiner Therapeutin. Selftracking hat viel mit Psychologie zu tun. Es zentriert dich. Ich erfasse auf meinem Smartphone meine Launen und Erlebnisse, in einer Bewertungsskala von eins bis fünf. Früher fühlte ich mich abends oft schlecht und ausgelaugt und dachte: "Mann, das war ein furchtbarer Tag". Dabei war es nur so, das sich mich einfach nicht mehr an die guten Dinge erinnerte, die passiert waren. Jetzt schaue ich auf den ganzen Tag zurück - das ist eine prima Therapie!"

Gestalterin: Beatrice Uerlings

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