Schöner als die Realität

Falsche Fotos

Bearbeitungen von Fotos sind heutzutage selbstverständlich. Problematisch werden sie in den Medien, wenn sie falsche Signale senden. In der Werbung hingegen wird ein Foto bewusst dahingehen bearbeitet, dass es schöner als die Wirklichkeit ist.

Das gefälschte Gipfelfoto

Im September 2010 war aufgeflogen, dass der als "Skyrunner" bekannt gewordene Steirer Christian Stangl gar nicht auf dem Gipfel des K2 gewesen ist. 25 Tage nach seinem angeblichen Gipfelsieg hatte Stangl bei einer Pressekonferenz eingestanden, dass das vermeintliche Beweisfoto mehrere hundert Meter unter dem Gipfel des K2 aufgenommen worden sei.

Das Selbstporträt von Christian Stangls zeigt seinen vermummten Kopf; die hochgestreckten Arme mit Kamera spiegeln sich in der Schutzbrille. Das Blöde ist nur: in dem weißen Bergpanorama rundherum fehlt ein Gletscher, den man vom Gipfel aus sehen müsste. Selbst schuld, wer so schlampig fälscht.

Zu perfekte Rauchwolken

Der Reporter Adnan Hadjj fotografierte 2006 für die Agentur Reuters im Libanonkrieg. Bei einem Bild des brennenden Beirut ließ er die Rauchschwaden auf doppelte Größe anschwellen. Da die Kronen der Rauchsäulen vollkommen regelmäßig gemustert sind und wie Stapel von Wattebällchen in säuberlichen Reihen aussehen, wurde die Fälschung bekannt.

Hin und wieder gerät so eine unrechtmäßige Bearbeitung spektakulär ans Tageslicht. Die Dunkelziffer muss aber gigantisch hoch sein, erlauben doch die digitalen Werkzeuge das perfekte Verbrechen am Newsfoto.

Richtlinien für Agenturen

In Bildredaktionen von Nachrichtenagenturen werden Fotos routinemäßig unter folgender Bedingung bearbeitet: "Unser Kodex besagt, dass sich ein bearbeitetes Bild durch seine Aussage nicht vom Originalfile unterscheiden darf", sagt Harald Schneider, Bildredakteur bei der Austria Presseagentur (APA).

Agenturfotos sind Rohmaterial, das von Print- und Onlinemedien verwendet wird. Unter Umständen werden Politikerbäuche verkleinert oder Personen hinein- beziehungsweise herausretuschiert, weil man nur den XY auf der Titelseite haben möchte und nicht die Person neben ihm.

Spitzenreiterin Werbung

Alles bis jetzt Genannte ist ein Klacks gegen das, was in der Werbung und der Promifotografie stattfindet. Dass die Frauen in der Slipwerbung nicht gleichzeitig Grapefruitbrüste und Kleinmädchenpopos haben können, das mag inzwischen jeder und jedem klar sein.

Wir neigen aber noch immer dazu, das Model auf einem Plakat für eine Person zu halten. Sogar das täuscht. Oft ist der Mensch in der Produktkampagne aus seinen Einzelteilen neu zusammengesetzt worden: "Die Werkzeuge sind vorhanden, die Verlockung ist groß - man tut es einfach", sagt Helmut Kansky, Geschäftsführer des Foto- und Bildbearbeitungsstudios Blaupapier in Wien.

Schöner als die Realität

Das Model auf einer Schuhwerbung muss nicht zwingend auf seinen eigenen Füßen stehen: Es wurde zwar vielleicht an eine coole Location geflogen, die Schuhkollektion hat man aber im Studio fotografiert - fallweise an einem anderen Model.

Idealisierende Darstellungen von Welt und Mensch sind ein Jahrtausende alter Hut - immer schon gab es die Tendenz, die Wirklichkeit auf den schönen Schein ihrer Fälschung hinzutrimmen. Dies war nur noch nie solch ein Massenphänomen wie heute. Gustav Soucek geht so weit zu sagen: "Die Realität wird als falsch wahrgenommen".

Kurse für virtuelle Schönheits-OPs

Für die virtuelle Fälschung seiner sterblichen Hülle braucht man keinen Arzt, das schafft man selbst - man benötigt dazu lediglich einen Photoshop-Kurs, etwa "Digitales Face- and Bodystyling", einen Lehrgang auf DVD.

Neben Gängigem wie Gesäß-Verschmälern oder Nase-Begradigen muss auch ein Babybäuchlein zur digitalen Abspeckung: "Die Halsfalten beim Mann sollten etwas reduziert werden, die Speckröllchen beim Baby auch ein ganz kleines bisschen."

Die Realität ist schwierig zu erkennen

Wir wissen, wie viel Manipulation bei Fotos möglich ist. Zumindest in der Werbung haben wir es kaum je mit Ablichtungen wirklicher Szenen zu tun, sondern mit Konstrukten, die sich halb und halb für wirklich ausgeben. Unsere Sinnreizverarbeitung fällt immer noch darauf herein.

Helmut Leder von der Fakultät für Psychologie der Universität Wien skizziert, warum wir Fotos wider besseres Wissen immer noch für wahr halten: "Die Fotografie hat so viele Merkmale von dem, was wir in unserer Alltagswelt für bare Münze nehmen müssen, dass es ganz schön viel braucht, um plötzlich zu denken: 'Hoppla, dieser Aspekt in dem Bild stimmt jetzt vielleicht nicht!'".

Dass man darauf schon einen kritischen Blick haben sollte, obwohl das Ganze so aussehe wie Wirklichkeit, sei von der biologischen Seite gesehen schon ein ganz schön hoher Anspruch, meint Leder.

Perfektion bis zum Überdruss?

Wenn die Medienbilder den Rahmen des Plausiblen zu offensichtlich überschreiten, dann könnte es sein, dass der Witz irgendwann nicht mehr zieht, erzählt Leder: "In der Gesichtsforschung ist uns das Problem bewusst. Wir fragen uns manchmal, ob die ständige Darbietung von prototypisch besonders schönen Bildern, mit vollkommen glatter Haut, so wie sie kein Mensch hat, nicht dazu führt, dass über Bilder interne Prototypen im Gehirn so verändert werden, dass sie irgendwann mit unserer Wirklichkeit nichts mehr zu tun haben."

Auf lange Sicht könnte das bedeuten, dass wir diese Übersättigung mit diesen künstlichen Prototypen irgendwann überdrüssig sein werden, so Leder.

Service

Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.), "X für U - Bilder, die lügen", Bouvier Verlag Bonn.

Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland