Eine Ausstellung über deren Wechselspiel
Zukunft und Tradition
Im Münchner Haus der Kunst ist bis zum 9. Jänner 2011 die Ausstellung "Die Zukunft der Tradition - die Tradition der Zukunft" zu sehen. Sie stellt einerseits eine Erinnerung an eine ähnliche, 100 Jahre vergangene Schau dar, andererseits will sie die arabische Kunstszene zugänglich machen.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 21.09.2010
Sinn- und Hoffnungslosigkeit
"Die Nachwirkungen von Kuskus" heißt ein Video von Kader Attia, das eine alte Frau mit Kopftuch zeigt, die auf dem Boden sitzt und monoton immer die gleichen Bewegungen vollführt: Sie nimmt Spiegelscherben aus einem schwarzen Plastiksack und legt sie in eine große Holzschüssel, um sie dann zu mischen - so als würde sie Kuskus zubereiten. Ihr Tun bleibt aber sinnlos.
Kader Attias Werk, Reminiszenz an eine archaische Welt, Symbol sinnlos gewordener Rituale und Bewegungen und zerstörter Hoffnungen, ist nun im Rahmen einer Ausstellung im Münchner Haus der Kunst zu sehen, die unter dem Titel "Die Zukunft der Tradition - die Tradition der Zukunft" Kunst aus islamischen Ländern zeigt.
Die islamische Kunst besser kennenlernen
"Wir kennen die islamischen Objekte, denn es gibt diese riesigen Ausstellungen, wo immer diese Schatzkammern gezeigt werden, und wir kennen natürlich die Gegenwartskunst, den boom of arab art. Aber kennen wir das wirklich?", fragt Chris Dercon, Direktor vom Münchner Haus der Kunst.
Die aktuelle Schau zeigt moderne und Gegenwartskunst aus islamischen Ländern (aus Ägypten, Algerien, Palästina, der Türkei, dem Libanon, Sudan, Iran, Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten) im Kontext berühmter Werke ihrer Tradition und erinnert damit an eine frühere Ausstellung.
Vor hundert Jahren wurde in München die legendäre Schau "Meisterwerke muhammedanischer Kunst" gezeigt. Sie war mit 3.600 Exponaten bestückt, die einen von Exotismus-Klischees freien großen Überblick über die Kunst der islamischen Welt vermitteln wollte.
"Diesen Schock, den man damals in München während der Prinzregentenzeit 1910 erfahren hat, wollen wir rekonstruieren, aber mit Materialien von heute. Das bedeutet, dass die Traditionen, die man kennt, auch heute noch verwendbar sind und wirklich eine Zukunft haben. Das finde ich ganz spannend in dieser Ausstellung. Sie versucht, mit Designern, Architekten, Fotografen etwas zu machen, was es vielleicht so noch nicht gegeben hat", meint Dercon.
Hauptthema Tradition
In einem großen Mittelsaal inszeniert Samir El Kordy, ein junger, ägyptischer Architekt, die Zukunft der Tradition. Er präsentiert 30 Objekte, die auch schon 1910 zu sehen waren - Kupfer- und Keramikschalen, Bronzekessel und Messingteller, Teppiche und Miniaturen aus den letzten tausend Jahren, sogenannte "Ikonen" der islamischen Kunst.
In seinem von Stoffbahnen in dreieckige Parzellen gegliederten Parcours stellt er ihnen zeitgenössische Werke gegenüber: Bilder der heute 96-jährigen Saloua Raouda Choucair, die zu den Wegbereitern der zeitgenössischen abstrakten Kunst im Libanon zählt; Wandarbeiten und Skulpturen von Monir Sharoudy Farmanfarmaian, die auf die Tradition iranischer Spiegel- und Glasmosaiken zurückgreift; Stofffahnen von Rachid Koraichi, die mit arabischen Ornamenten und Schriftzeichen versehen sind und berühmte Sufi-Sprüche zitieren; filigrane Federzeichnungen von Ibrahim El Salahi, die eine Reise in die Kindheit darstellen.
Umschlossen wird dieser zentrale Saal von mehreren kabinettartigen Räumen, von jüngeren Künstlern bespielt mit Gemälden, Videos, Modellen und Installationen.
Kosmopolitische Künstler
"Die jungen Künstler, die hier sind, haben den Blick geöffnet, und sie kennen sich gut aus mit der Vergangenheit und auch mit der Gegenwart. Sie sind vielleicht viel neugieriger als wir. Das spürt man auch in der Ausstellung: Das ist nicht die Kultur von einer Region oder von einer Stadt, es ist wirklich ein kosmopolitischer Blick", erzählt Chris Dercon.
Ein kosmopolitischer Blick, der auch den kritischen, den satirischen und heiter-unbeschwerten miteinschließt. Buthina Khoury zeigt in ihrem Film "Taste the Revolution" den Lebenstraum ihrer Brüder von der eigenen Brauerei, den die jungen Palästinenser mitten im Westjordanland in einem kleinen christlichen Dorf verwirklichten.
Hier gibt es jetzt "taybeh beer", leckeres Bier, nach streng bayerischem Reinheitsgebot gebraut, das mittlerweile auch an israelische Bars geliefert wird, und ein eigenes Oktoberfest. Auch das ist die "Zukunft der Tradition".
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