Eine düstere Zukunftsvision

Schlachtfeld Erde

Gwynne Dyer sieht Kriege in der Zukunft aufgrund des Klimawandels als unumgänglich an. Er zeichnet ein sehr negatives Bild der Welt um 2045 und bietet zugleich auch sehr unorthodoxe Lösungsvorschläge an, die viele Leser/innen wohl sehr kritisch hinterfragen werden.

Exotisches Berufsbild

Vor nicht allzu langer Zeit wäre Klimaforscher als Berufswunsch kleiner Kinder so exotisch gewesen wie Pilzrisottofabrikant oder Gartenblumenbaumeister. Von der Existenz der Klimaforschung blieb, mangels medialer Aufmerksamkeit, der an täglichen Belastungen ohnehin nicht arme Durchschnittsbürger weitgehend verschont.

Wie das Wetter in tausend Jahren sein würde, war vor allem für Science-Fiction-Autoren von Belang. Außerdem gerierten sich Klimaforscher, wenn sie doch einmal an die Öffentlichkeit traten, als leidenschaftliche Schwarzmaler, die in ihren Modellen immer die schlechtesten aller Voraussetzungen zu einer apokalyptischen Tapisserie verknüpften.

Die Zukunft, demnächst

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts erfuhren wir, dass die prognostizierte Zukunft keine tausend Jahre, sondern nur mehr ein paar Jahrzehnte von uns entfernt ist. Die Klimaforschung hatte plötzlich nicht nur Konjunktur. Sie wurde auch zur mächtigen Wissenschaft, die, wie kaum eine andere Disziplin, politische Entscheidungen beeinflusste - und zwar weltweit.

Das rasante Wachstum der Weltbevölkerung und der Wirtschaft in ehemals unterentwickelten Ländern sowie der ungebrochen hohe Energiebedarf in den Industriestaaten haben dazu geführt, dass die Erde keine Zeit zur Regeneration mehr hat. Sie steht unter Stress, die Durchschnittstemperatur steigt an, das Klima und damit auch die Lebensbedingungen für die Menschen verändern sich.

Ausnahmezustand 2045

Die prognostizierten Folgen sind Wanderungsbewegungen ungekannten Ausmaßes und Kriege um die letzten verbliebenen Ressourcen. Diesem Zukunftsmodell folgt auch der kanadische Journalist Gwynne Dyer in seinem Buch. Für das Jahr 2045 entwirft er folgendes Szenario:

Im Jahr 2036 ist die EU unter dem Druck der Massenmigrationen aus den südlichen Staaten der Gemeinschaft nach Norden zusammengebrochen. Der neu gebildeten Nördlichen Union - bestehend aus Frankreich, den Benelux-Ländern, Deutschland, Skandinavien, Polen und den früheren habsburgischen Territorien - ist es gelungen, ihre Grenzen gegen weitere Flüchtlinge aus dem von Hungersnöten geplagten Mittelmeerraum abzuriegeln. Süditalien wurde größtenteils von Flüchtlingen aus den nordafrikanischen Ländern überrannt, in denen die Verhältnisse noch schlimmer sind. Süditalien ist nicht mehr Bestandteil eines organisierten Staates.

Kurzum: Auf der Welt herrscht Kriegszustand. Grund dafür ist die Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur um 2,8 Grad innerhalb von 50 Jahren. Das klingt nicht nach allzu viel, hat in der Praxis aber in den heute warmen und trockenen Regionen der Erde Ernteausfälle von bis zu 50 Prozent sowie das Austrocknen der meisten Gewässer zur Folge.

Gwynne Dyer gibt zwar zu, dass dieses Szenario nur dann realistisch ist, wenn in Sachen Klimaschutz gar nichts geschieht. Er lässt aber auch keinen Zweifel daran, dass viel zu wenig geschieht, als dass sich die Katastrophe abwenden ließe.

Militärische Strategien

Der Autor ist Journalist, kein Klimaforscher. Er weiß, wie man sich auf dem Feld ungesicherter Wahrheiten bewegen muss, um Leser weder mit altbekannten Botschaften zu langweilen, noch sie durch haarsträubende Spekulationen abzuschrecken.

Dyer bedient nicht den Boulevard, er erfindet nichts, behauptet nichts und stellt keine unglaubwürdigen Zusammenhänge her. Objektiv ist er deshalb trotzdem nicht, denn er positioniert sich dort, wo eher düstere Gedanken gewälzt werden.

Dies ist zum Beispiel unter Militärs und Armeeberatern der Fall: Sie sind damit beschäftigt, kommende Bedrohungsszenarien zu entwerfen, um rechtzeitig Strategien zu entwickeln, oder - anders ausgedrückt - um die Rüstungsindustrie bei der Stange zu halten. Selten wurde in einem Buch aus der Post-Reagan-und-Bush-Senior-Ära die Notwendigkeit atomarer Aufrüstung so deutlich formuliert.

Natürlich wünscht sich Dyer eine friedliche Welt. Aber wenn es kommt, wie es kommen muss, wenn wir uns also in ein paar Jahrzehnten nicht mehr um Territorien streiten, sondern globale Kriege um Nahrung und Wasser führen, dann kann nur derjenige einigermaßen ruhig leben, dessen Atomsprengköpfe in alle Himmelsrichtungen weisen.

Ökoterrorismus

Der Kalte Krieg war ein Witz gegen jene Krise die uns oder spätestens unsere Kinder erwartet. Sie wird nämlich kein Ende nehmen, weil die Folgen der Erderwärmung, wenn sie einmal eingetreten sind, nicht mehr rückgängig zu machen sind.

Dann gibt es einen anderen Krieg, den Dyer beschreibt, einen Krieg im Inneren einer Gesellschaft, ohne klar auszumachende Feinde: den Ökoterrorismus. Wieder ein Szenario: Im Jahr 2032 verübt eine Gruppe aus zwölf Personen einen Anschlag auf den Kernreaktor Penly in der Normandie.

Alle waren französische Staatsangehörige, hatten eine gute Erziehung genossen und lebten in geordneten Verhältnissen. Ihre Motive waren rein ökologischer und ideologischer Natur. Die grauenhaften Ereignisse an dem Tag, als die Wolke radioaktiven Fallouts sich über Paris legte, machten die Täter in den Augen der Bevölkerung zu Monstern. In den Verhören stellte sich allerdings heraus, dass der Grund ihres Handelns eine abgrundtiefe Missbilligung der zur Bekämpfung des Klimawandels eingeleiteten Maßnahmen war.

Man könnte aus derlei Szenarien den Wunsch herauslesen, dass man am besten heute schon mit Antiterrorgesetzen gegen widerständige Initiativen vorgeht: gegen Tier-, Umwelt- oder Datenschützer, man weiß ja nie.

Gwynne Dyers Buch erzählt vom wahrscheinlichen Horror einer Welt, in der Staaten zerfallen und andere sich schwer bewaffnet vom Rest der Welt abschotten. Er beschreibt eine Welt, in der das Sterben und das Töten aufgrund der Opferzahl statistisch nicht mehr zu erfassen ist und die an ihrem eigenen Fortschritt zugrundegeht, weil sie sich jeglichem Nachhaltigkeitsdiskurs verweigert hat, weil das Jetzt politisch einfacher zu gestalten ist als das Morgen.

Nur drastische Lösungen?

Dyer hat recht, wenn er darauf hinweist, wie absurd ineffizient globale Umweltpolitik betrieben wird, wenn man sieht, wie effizient zugleich die Wirtschaft vorangetrieben und wie das Wachstum beschworen wird, als wären Ressourcen und Kapazitäten unendlich.

Seine Neigung, für die unmittelbare Zukunft Szenarien zu entwerfen, die Stoff für mindestens fünf Roland-Emmerich-Filme liefern, mag man hinnehmen. Zu lesen, wie dreckig es uns möglicherweise noch zu Lebzeiten gehen wird, hat etwas Prickelndes.

Seine Vorschläge zur Entschärfung der Lage werden allerdings nur mehr hartgesottene Neokonservative und manche Industrielle abnicken können: massiver Einsatz von Gentechnologie und Atomkraft sowie rechtzeitiges Aussondern potenzieller Gefahrenträger.

Gwynne Dyers Buch stellt uns vor die unschöne Alternative, entweder jetzt eine restriktive und autoritäre Politik mitzutragen oder in einem kommenden Klimakrieg zu sterben. Der entspannte Leser, der sich selbst von den vielen Fakten nicht einschüchtern lässt, weil er weiß, dass alles nur eine Frage der Interpretation ist, geht davon aus, dass auch noch ein dritter Weg in die Zukunft der Menschheit führt.

Service

Gwynne Dyer, "Schlachtfeld Erde. Klimakriege im 21. Jahrhundert", aus dem Englischen von Susanne Held, Klett-Cotta Verlag

Klett-Cotta