60.000 Wähler könnten auch nach Wahltag wählen
Kritik an Briefwahl
In Steiermark wird am Sonntag ein neuer Landtag gewählt. Mehr als 60.000 Wahlberechtigten haben Briefwahlkarten beantragt, die ihnen zwar verbotenerweise, aber de facto unkontrolliert auch die Möglichkeit geben, erst nächste Woche ihr Kreuz zu machen: Nachdem sie in aller Gemütsruhe den Wahlabend verfolgt haben.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 24.09.2010
Manipulierbare Wahlentscheidung
Die Briefwahlmöglichkeit gibt es erst seit dem Jahr 2007. Vom ersten Tag an war sie Objekt juristischer Kritik. Punkt eins: Es ist nicht nachweisbar, ob jemand das Kreuzerl im heimischen Wohnzimmer tatsächlich geheim und unbeeinflusst gemacht hat. Punkt zwei: Wenn man sich noch nach dem offiziellen Wahlschluss überlegen kann, wen man wählt. Ob man etwa einer Minipartei, die den Einzug ins jeweilige Parlament hauchdünn verfehlt hat, doch noch eine Stimme zukommen lässt. Zeit für solche Überlegungen bleibt genug. Erst am zweitfolgenden Montag nach der Wahl, also gezählte acht Tage später, muss das Briefwahlkuvert bei der Wahlbehörde eingelangt sein.
Briefwahl verfassungswidrig?
Das Urteil der juristischen Fachwelt ist ziemlich einhellig: Bei der Briefwahl herrsche Unbehagen, da müsse man nachjustieren, formulierte schon Verfassungsgerichtshofpräsident Gerhart Holzinger vor kurzem. Das sei verfassungswidrig, sagte Rechtsprofessor Bernd-Christian Funk und das sei undemokratisch, sagte Verfassungsjurist Heinz Mayer.
Änderung: Nur Wahlkarten bis Wahltag zählen
Zwei ehemalige Verfassungsgerichtshofpräsidenten stimmen ebenfalls in den Chor der Skeptiker oder gar Gegner mit ein. Ludwig Adamovich: "Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass Vertrauen gut ist, Kontrolle aber besser. Man könnte eine Regelung finden, so wie für die niederösterreichische Gemeinderatswahl. Gezählt werden nur die Wahlkarten, die zu Beginn der Wahlhandlung eingelangt sind."
"Bestimmungen restriktiv anwenden"
Und Ex-VfGH-Präsident Karl Korinek sagt: "Ich habe bei so langen Fristen ein bisschen eine ungutes Gefühl. Ob das verfassungswidrig ist, trau ich mir nicht so locker zu sagen. Aber es ist sicher eine Diskussionsfrage. Ich bin dafür, dass man die Briefwahlbestimmungen möglichst restriktiv handhabt, eben wegen der Gefahr der Manipulation."
Möglichkeit Wahlbeteiligung zu erhöhen
Wobei der pensionierte Verfassungsgerichtspräsident auch Milde walten lässt bezüglich der Politiker, die die "Nachwahl per Briefwahl" vor wenigen Jahren beschlossen haben. Korinek: "Es war sicher eine Entscheidung um möglichst Viele Leute zur Wahl zu bringen. Das ist sicher ein positives Argument. Nur finde ich, dass die Gefahren größer sind als die positive Wirkung."
Abschaffung derzeit nicht diskutiert
Die Abschaffung der Briefwahl fordert aber derzeit niemand, mit anderen Worten: Unsicherheiten beim Problemkreis Geheimhaltung und Unbeeinflusstheit der Wahlentscheidung nimmt man im Interesse einer unkomplizierten Wahlmöglichkeit in Kauf. Auch in der Politik mehren sich mittlerweile übrigens die Stimmen für eine Reform, für die steirische und die Wiener Wahl kommt sie aber auf alle Fälle zu spät.