Vorträge und Diskussionen
Europäische Literaturtage
In der Wachau haben am Wochenende die "Europäischen Literaturtage" stattgefunden. Initiiert wurden sie im Vorjahr vom steirischen Autor Walter Grond, der auch das Literaturportal readme.cc ins Leben gerufen hat, eine Internet-Plattform für Buchempfehlungen - mit Partnern in zwölf Ländern.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 27.09.2010
Service
Autoren an Bord
Ein Symposium legt ab legt ab: Freitagnachmittag verlässt die MS Austria die Schiffsanlegestelle in Spitz an der Donau. An Bord: rund 20 Autoren aus 17 Ländern, Literaturkritiker, Wissenschaftler, Kulturmanager und Verleger. Auf dem Podium am Oberdeck: die Ungarin Zsuzsanna Gahse.
Von der Donau erzählen die jüngsten Texte von Zsusanna Gahse, an der Donau ist sie auch aufgewachsen, in Budapest - bis sie nach dem Ungarnaufstand 1956 mit ihren Eltern als 10-jährige - wie sie sagt - "geflohen worden ist". Wien war die erste Station, später dann hat sie in verschiedenen deutsche Städten gelebt, heute wohnt sie in der Schweiz.
Sie sieht sich als europäische Autorin: "Man spricht ja immer über die Nationalliteraturen, die es ja selbständig geben muss, aber sie werden zu sehr als nationale Literaturen betont."
Menasses Blick auf die EU-Kulturpolitik
Was bedeuten nationale Grenzen für das literarische Schreiben? Wie finden Literaturen über Sprachgrenzen hinweg zueinander? Und wohin entwickelt sich der europäische Literaturbetrieb? Das waren die Fragen, die am vergangenen Wochenende diskutiert wurden - auf und an der Donau, im Literaturschiff und im Schloss Spitz. Zu allererst: Wie sieht es eigentlich aus mit der Kulturpolitik der EU? Robert Menasse hat für Recherchen zu seinem neuen Roman einige Wochen in Brüssel verbracht. Er hat sich in den EU-Institutionen und im Beamtenapparat umgehört.
"Meine Beobachtung war, dass es keine europäische Kulturpolitik gibt", so Menasse. "Das Kulturressort ist ein Alibi-Ressort. Es ist das Ressort mit dem geringsten Budget. Man kann sagen das Budget reicht gerade für den Selbsterhalt des Ressorts. Und wenn man sie so wie ich aufsucht und fragt, erfährt man auch nichts. Und nicht deshalb, weil sie keine Auskunft geben wollen, sondern weil sie gar nicht wissen, was sie sagen sollen, weil sie nicht einmal im Stande sind, grundsätzliche Fragen zu beantworten. Zum Beispiel: Kann es überhaupt so etwas geben wie eine europäische Kulturpolitik?"
Ein schmückendes Anhängsel
Von Maastricht 1992 bis heute ist die Kulturpolitik ein schmückendes Anhängsel der EU-Politik geblieben, kritisierte auch der slowenische Autor Ales Steger. Subventionsprogramme für eine Vermehrung der Übersetzungen aus den EU-Sprachen genügen hier nicht, meinte Steger - er hatte als Eröffnungsredner einen ganz konkreten Vorschlag auf Slowenisch präsentiert: "Der Lehrplan aller Mittelschulen auf dem Gebiet der EU soll vorschreiben, dass jeder Europäer bis zu seinem 18. Lebensjahr fünf Gedichte fünf lebender Autoren aus EU-Mitgliedsstaaten kennenlernt und sich auch mit dem gesellschaftliche Kontext, der Ästhetik, den Problemen und den alltäglichen Dilemmata vertraut macht."
Und auf Deutsch fügt Ales Steger hinzu: "Es geht vor allem um das Fördern eines Bewusstseins, dass Literatur im Falle des Kennenlernens durchaus sehr produktiv einzusetzen ist. Und das wird absolut nicht ausgenützt."
Übersetzer in einer Schlüsselrolle
Auf dem vielsprachigen Kontinent kommt dem Übersetzer eine Schlüsselrolle zu, sagt Ilija Trojanow, der Autor des gefeierten Romans "Der Weltensammler". 1965 in Bulgarien geboren, ist er in Kenia aufgewachsen, studiert hat er in München, er hat in Indien gelebt, in Kalifornien und Kapstadt. Seit zwei Jahren wohnt er in Wien. Bei den Europäischen Literaturtagen hat er seine Initiative "Weltempfänger" vorgestellt, eine alternative Bestenliste, die den Blick auf Übersetzungen jenseits der dominanten Literatursprachen richtet.
"Wir vergessen oft, dass wir eigentlich von Übersetzungen abhängig sind. Literatur ist eigentlich überwiegend Übersetzung. Die Leute, die uns beeinflusst haben - beim einen Dostojewsky, beim anderen Shakespeare, beim dritten Cervantes - sind die Autoren, die wir meistens in Übersetzungen gelesen haben. Insofern spielt der Nationalgedanke in der literarischen Wahrnehmung kaum eine Rolle. Man sucht sich die Autoren, die einem behagen, die für einen wichtig sind überall auf der Welt aus. Und das bedeutet: Übersetzung ist eigentlich das Gleitmittel literarischer Rezeption."
Literarische Stimmen hörbar machen
Der deutschsprachige Buchmarkt sei geradezu vorbildlich, was das Aufspüren, Übersetzen und Vorstellen von Stimmen aus aller Welt betrifft, meint Ilija Trojanow. Die meisten dieser Stimmen werden aber kaum gehört. Davon weiß auch der Verleger Lucien Leitess ein Lied zu singen. Er hat vor mehr als 30 Jahren den Schweizer Unionverlag gegründet, ein Verlag, der sich für Autoren außerhalb der gängigen Literaturregionen engagiert.
"Im Grunde sind alle Kulturpolitiken mehrheitlich darauf orientiert, die Autoren des eigenen Landes in die ganze Welt zu exportieren", so Leitess. Und es war zum Beispiel für viele Jahre wesentlich leichter, einen Schweizer Autor ins Nepalesische zu übersetzen, als einen Nepali ins Deutsche zu übersetzen."
Dass man Bücher von Tschingis Aitmatow, Yasar Kemal, Nagib Machfus, Assia Djebar auf Deutsch konnte, noch bevor sie auch hierzulande für preiswürdig erachtet wurden, verdanken wir nicht zuletzt dem Spürsinn und dem Engagement des Unionverlags: "Es ist im Grunde nur unsere eigene Begrenzung oder die Begrenzung unseres literarischen Weltbildes, die zwei Drittel der Erdoberfläche ausblendet aus der Weltliteratur - das sind das, was man früher weiße Flecken genannt hat auf unserer weltliterarischen Karte.
Die weißen Flecken der Literaturlandschaft
Diese weißen Flecken gibt es nach wie vor auch im Osten Europas - trotz des gestiegenen Interesses für diese Region, sagt Hana Stojic, sie lebt als Übersetzerin in Sarajewo: "Das Land ist auch 15 Jahre nach dem Krieg geteilt, die Nationalismen sind noch immer sehr stark, die Nationalisten sind an der Macht. Es ist wirklich ein Paradox, weil die deutschsprachigen Leser interessiert der Krieg sehr, nur auf einer Ebene des Sachbuchs. Und die ganze gute bosnisch-herzegowinische Literatur spricht über den Krieg. Nur die will erstaunlicherweise keiner Lesen, sondern ein Sachbuch zum Thema.
"Fuck You Eu.ro.pa" heißt ein Theatertext der Moldawierin Nicoleta Esinencu, ein wütender Monolog voller Zweifel an Europa als identitätsstiftendem Bezugspunkt. "Fuck You Eu.ro.pa", erklärt sie - das hat mit enttäuschter Liebe zu tun, mit unerfüllten Hoffnungen.
In der Wachau haben sie zueinander gefunden - die Autoren, die Literaturen und die Musik, zum Beispiel Harri Stojka und die Spitzer Katzenmusi. Und am Ende gab es auch einen Vorschlag für eine Zeit, in der das Wünschen vielleicht wieder helfen wird. Lucien Leitess wünscht sich, "dass die UNO und die EU, ob das nun Bill Gates oder Warren Buffet ist, einen großen Fonds bilden sollen, in dem jede Übersetzung von Literatur mehr oder weniger automatisch unterstützt wird. Das wäre ein großer Schritt zu einer guten Welt."