Porträt des Architekten als Stadtplaner

Vittorio Magnago Lampugnani

Ein Haus unweit der Basilika San Lorenzo an der Südseite der Mailänder Innenstadt. Im Innenhof zwei ehemalige Werkstätten, in einer der beiden das Architekturstudio, für das Vittorio Magnago Lampugnani sich, wie er sagt, auf Lebzeiten verschuldet hat. Der Professor für die Geschichte des Städtebaus ist auch aktiver Architekt.

Vittorio Magnago Lampugnani erarbeitete schon vor zehn Jahren den Masterplan für den Basler Novartis-Campus und entwarf eines der 20 Gebäude: Ein repräsentatives Bürohaus mit schlichten geometrischen Formen, aber ausgesuchten Materialien. Lampugnani kann Lieder davon singen, wie schwer gute Materialien am Bau durchzusetzen sind: weißer Carraramarmor außen, innen reichlich Holz und warme Farbtöne. Es ist eine Chance, wie ein Architekt sie vielleicht nur einmal im Leben bekommt, sagt Lampugnani, nämlich ein großes Haus bis ins kleinste Detail zu designen bis hin zu den Schreibtischen, bis hin zum Logo des Restaurants.

Die Stadt im 20. Jahrhundert

Über das Haus Fabrikstraße Nummer 12 ist 2009 ein Buch erschienen, schon das sechste über ein Projekt am Novartis-Campus. Und als hätte Vittorio Magnago Lampugnani sonst nichts zu tun, erscheint ein Jahr später sein 15. Buch: "Die Stadt im 20. Jahrhundert", 900 großformatige Seiten in zwei Bänden.

Von der ersten Auflage, 4.000 Stück, sind wenige Wochen nach Erscheinen schon 2.500 verkauft, freut sich Lampugnani. Das Buch stößt in eine Lücke, es gibt nichts Vergleichbares: eine Gesamtschau der Ideen und Strömungen in einem schließlich nicht wenig ereignisreichen Jahrhundert. 28 Entwicklungen verfolgt "Die Stadt im 20. Jahrhundert". Die englische Gartenstadtbewegung oder holländische Neue Sachlichkeit, die Neuerungen der amerikanischen Großstadt der Jahrhundertwende. Lampugnani macht Station im Berlin der Jahre 1910 bis 1933:

"Städtebau ist ja nicht eine abstrakte Kunst, Städtebau hat viel mit Politik, mit Ideologie, mit Geld, mit sozialem Verhalten und natürlich auch mit Kultur zu tun", meint Lampugnani, "und diese Zusammenhänge hab' ich dann immer wieder versucht zu erklären".

"Der in vielen Städten zu beobachtende Zerstörungswahn wundert, soziologisch betrachtet, nicht. Die erste Reaktion nach dem Mai 1945 war das durchaus verständliche Verlangen, sich einer Vergangenheit zu entledigen, deren Schrecken noch allzu präsent waren", schreibt Vittorio Magnago Lampugnani über den Wiederaufbau im zweigeteilten Deutschland.

Gebaute Umwelt prägt Beziehungen

Städtebau ist Ausdruck gesellschaftlicher Bewegungen, aber auch mehr: Die gebaute Umwelt prägt ihrerseits mit die sozialen Beziehungen, das zeigt Lampugnani auch an Positivbeispielen. Das sind für ihn beispielsweise Projekte des französischen Architekten Fernand Pouillon, sowohl in Frankreich selbst - der Wiederaufbau des Hafens von Marseille, Wohnbauten nahe Paris -, aber auch in Algerien. Die Siedlungen in der Nähe von Algier sind im Buch so lebendig beschrieben, als sei der Autor dort gewesen.

"Ja - und sie sind wunderbar", so Lampugnani. "Wissen Sie, das sind Bauten, das muss man sich einmal klar machen, für die Ärmsten der Armen. Mit ganz wenig Geld gebaut, nachdem sie gebaut wurden, wurde nichts daran gemacht, kein Unterhalt, einfach sich selbst überlassen, und sie haben einfach diese unglaubliche Prüfung überstanden."

Auseinandersetzung mit Architekturgeschichte

Seit gut zwanzig Jahren lebt Vittorio Magnago Lampugnani in Mailand, der Heimatstadt seiner Mutter. Geboren ist er in Rom, den deutschsprachigen Schulen der Hauptstadt verdankt er die Zweisprachigkeit. Nach Mailand kam er als Chefredakteur der Zeitschrift "domus", schon damals war Magnago Lampugnani Pendler, er leitete gleichzeitig das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt. Erst über die Auseinandersetzung mit der Architekturgeschichte hat der studierte Architekt, der eigentlich nie bauen wollte, zur eigenen ästhetischen Haltung gefunden.

Gemeinsam mit seiner Ehefrau Marlene Dörrie, der Schwester der Regisseurin Doris Dörrie, baut Lampugnani Ende der 1990er Jahren eine Wohnanlage im steirischen Bergbauort Maria Lankowitz, die im Rückblick wie die programmatische Ankündigung späterer Projekte wirkt. Der Architekturpublizist Nikolaus Hellmayr schreibt:

Vittorio Magnago Lampugnani hat im Sinne seiner theoretischen Überlegungen zu einer schlichten, an den Bautraditionen der Moderne orientierten Architektur in dem kleinen, weststeirischen Wallfahrtsort Maria Lankowitz ein Wohnbauprojekt umgesetzt. Die diagonal gestaffelten Reihenhäuser nehmen ein Motiv auf, das in den 50er und 60er Jahren zur Schaffung fließender außenräumlicher Beziehungen gerne eingesetzt wurde, beispielsweise in Roland Rainers Gartenstadtsiedlungen. Mit der Differenzierung des Außenraums werden mit einfachsten Mitteln Bereiche von Intimität geschaffen; der Charakter der Siedlung ist mit einer zurückhaltenden Eleganz zu beschreiben.

Was Lampugnani heute in vielfach größerem Maßstab in Basel und Zürich baut, und plant, das sei nur eine Radikalisierung der Wohnbaugruppe in Maria Lankowitz, sagt er: "Eigentlich interessieren mich die öffentlichen Räume, und wir entwerfen auch diese ganzen - so viele sind's ja nicht - diese Quartiere, diese Campusanlagen eben nicht, indem wir von den Gebäuden ausgehen, sondern indem wir von den öffentlichen Räumen ausgehen."

"Gegen die Globalisierungstendenz"

Die großen Utopien des 20. Jahrhunderts, sie scheinen samt und sonders historisch geworden - überholt von gescheiterten Versuchen, sie in funktionierende, lebbare Praxis zu überführen. Was hat sich bewährt? Oft sind es vergleichsweise konservative Planungen: Auguste Perrets Wiederaufbau von Le Havre, oder auch Bauten des Roten Wien der Zwischenkriegszeit, die Lampugnani ausführlich würdigt. Aber die haben nur Rezepte des 19. Jahrhunderts verfeinert; all die Elemente der modernen Stadt, Massenverkehr und funktionale Trennung der Stadtviertel, Grünzonen und Wolkenkratzer, sie alle wurden ja schon im 19. Jahrhundert erfunden.

Konnte es eine eigenständige Stadtarchitektur des 20. Jahrhunderts gar nicht geben, wie Aldo Rossi meinte? So streng will er nicht sein, sagt Vittorio Magnago Lampugnani. Flucht in die Vergangenheit ist seine Sache genauso wenig wie postmoderne Resignation:

"Ich glaube, wir müssen uns jetzt wieder an diese Großplanungen letztendlich machen, Schritt für Schritt natürlich; ich glaube, es wäre notwendig, sich einmal Gedanken zu machen darüber: Was ist Zürich eigentlich? Wie sollte Zürich sich als ganze Stadt entwickeln? Was ist Mailand? Wie sollten sich diese Städte in den nächsten 20, 30, 50 Jahren entwickeln? Visionen zu entwickeln für eine ganze Stadt, aber nicht im Sinne der großen Erzählungen, wenn die großen Erzählungen eine Gleichförmigkeit, eine Wahrheit, die richtige Lösung anstreben - nicht, Mailand ist anders als Zürich, was macht Mailand aus? Gegen die Globalisierungstendenz, die bewirkt, dass jede Einkaufsstraße gleich aussieht, weil die Läden Hermes, Prada, Armani usw. sind."

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