Gutes Design ist gut für die Seele

Stefan Sagmeister über seinen Mentor

"Ich habe in den 1980er Jahren in New York einen Menschen kennengelernt, der hieß Tibor Kalman. Ich habe den ungefähr fünfzig Mal angerufen, um ihn zu treffen. Und nach dem 50. Mal hatte ich dann eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter: 'Sagmeister, I give up! Next time you call I'll be there.'"

Seit 15 Jahren lebt der gebürtige Vorarlberger in New York, wo er etwa das Guggenheim Museum, Time Warner, Lou Reed und die Rolling Stones zu seinen Kunden zählt. Für das Design einer Albumbox der Talking Heads vor fünf Jahren erhielt Sagmeister sogar einen Grammy.

Seine Arbeiten gehen weit über die herkömmlichen Vorstellungen von grafischer Gestaltung hinaus, Stefan Sagmeister bewegt sich längst nicht mehr in der Welt der Werbung wie in seiner Anfangszeit, sondern interessiert sich vielmehr für die Bereiche Kunst und Philosophie.

Freundschaft, die bestehen bleibt

Faszinierende innovative Gestaltung

Die Grundlagen seiner Lebens- und Berufsauffassung verdankt er dem ungarisch-stämmigen Designer Tibor Kalman, dem Sagmeister, soeben nach Amerika gekommen, als Student in New York monatelang gleichsam nachstellte, um ihn und seine legendäre Firma M&Company endlich kennen zu lernen.

Der intellektuelle Humor und die innovative Gestaltungsweise faszinieren Stefan Sagmeister an M&Co bis heute: "Diese Leute waren zum einen sehr gescheit, mit relativ hochstehendem intellektuellem Humor, der aber sehr subtil gestaltet wurde. Die hatten das Design-Establishment, das Etablierte komplett verlassen und sich eher an Dilettanten orientiert, an jemand, der etwas nicht gut kann, aber es wirklich gut machen möchte.

"Eine unvergessliche und unerhörte Werbung zu jener Zeit - in den achtziger Jahren - war die für das feine Restaurant Florent in Meatmarket", erinnert sich Stefan Sagmeister. Man sah einen etwas dicklichen Mann in einem mit Essensresten bekleckerten T-Shirt. Kleine Pfeile zeigten auf die einzelnen Flecken und verwiesen so auf die Speisekarte mit Suppe, Sauce oder Dessert.

Keine Abhängigkeit schaffen

Mit Tibor Kalman verband Sagmeister seit der ersten Begegnung eine bleibende Freundschaft und in Folge auch eine enge Zusammenarbeit. Dennoch verabschiedete er sich nach einem halben Jahr Lehrzeit von seinem Mentor, um für zwei Jahre bei einer renommierten Werbeagentur in Hongkong "ziemlich viel Geld zu verdienen", wie er sagt.

Tibor Kalman gab Sagmeister einen entscheidenden Tipp mit auf den Weg: "Er hat gemeint: 'Don't you fucking go and spend alle the money, that they pay you, because you'll be the whore of the advertising agencies for the rest of your life!' Also wenn ich das Geld ausgeben werde, das ich verdiene, dann werde ich der Prostituierte der Werbeindustrie für den Rest meines Lebens sein. Das hab ich mir gemerkt und habe in Hongkong immer brav meinen halben Gehalt gespart. Das hat es mir ermöglicht, als ich dann von Hongkong nach New York zurückgekommen bin, wirklich ein Studio zu kaufen. Das heißt, dass ich keine Miete zahlen musste, also relativ geringe Unterhaltskosten für das Studio hatte und von den Kunden unabhängig war und die Jobs annehmen konnte, die mich angemacht hatten und nicht die, die mir die Miete bezahlt haben."

"Ich habe es an meinen Kollegen in Hongkong gesehen, die alle das Auto und die größere Wohnung gekauft haben, und die jetzt immer noch in der Werbung stecken", so Sagmeister weiter. "Und die wenigsten sind dabei glücklich. Ich glaube, wenn man über Jahre Dinge macht, die unterhalb des eigenen Potenzials liegen - und das ist leider Gottes in der Werbung oft so, dass sich die Werbeagenturen sehr sorgfältig die besten Leute aussuchen, diese dann aber zwingen, relativ miserable Arbeit zu machen, das ist einfach nicht gut für die Seele! Dem bin ich entkommen, durch Tibors Tipp."

Unnötiges Logo

Keine Arbeiten auszuführen, hinter denen er nicht stehen kann - das wurde zu Stefan Sagmeisters Motto. Noch heute erinnert er sich an eine symbolträchtige Begebenheit, die das Wesen von Tibor Kalmans Arbeitsauffassung anschaulich illustriert:

"Wichtig war dem Tibor bei M&Company die Frage, für wen man arbeitet, und hat es einen Wert, dieses Ding zu machen, das der Kunde will? Ich kann mich an ein Meeting mit Tibor erinnern, da kam ein australischer Designstore, der wollte, dass Tibor ein Logo macht. Er hat gesagt: 'Das ist ein Schmarrn, du brauchst kein Logo.' Die Situation war die, das war in Sidney, und der Mann hatte eben ein Ecklokal in bester Lage gekauft, wo Geschenkartikel mit grauenhaften Sidney-Booten und gefälschten Ureinwohner-Tabakpfeifen, drinnen war - ein Ramsch-Geschenkartikelladen eben. Tibor hat gesagt, nimm die 20.000 Dollar, die das Logo kostet, miete dir einen Caterpillar, fahr in dieses Geschäft rein und schieb diesen ganzen Scheiß auf 50 cm zusammen, dann stell eine Glaswand davor. Das ist dein Logo."

Gutes Design bewirkt Gutes

Derzeit arbeitet Stefan Sagmeister mit dem Team seines kleinen Designstudios in New York für die Columbia- und die Harvard-Universität; er entwirft die Grafik für ein Musikhaus von Rem Koolhaas sowie für die Organisation "One Voice", die zur Konfliktlösung zwischen Israelis und Palästinensern beitragen will. Kann Design eine bessere Welt bewirken?

Ein nahe liegender Gedanke, meint Stefan Sagmeister. Gutes Design bewirkt Gutes, etwa angenehme Gefühle und heitere Stimmung; schlechtes Design kann krank machen und oftmals sogar Böses anrichten."Weil ich gerade in Moskau war: Da gibt's in der Innenstadt immer noch relativ breite, teilweise vierzehnspurige Straßen, wo schnell gefahren wird; das macht ein ganz ungutes Gefühl, man kann kaum sprechen, wenn man mit jemanden entlang spaziert, und ich habe das im Magen gespürt: das ist eindeutig schlechtes Städtedesign!"

Stefan Sagmeister hat auch ein alltäglicheres Beispiel: "Das geht hin bis zu den Kabeln, mit denen man sich immer herumquälen muss, die einem das Leben täglich verschlechtern, weil man ein Ding kompliziert irgendwo einstecken muss, weil das nicht ordentlich gestaltet ist. Oder das beste Beispiel ist die schlechte Typografie des Wahlzettels in Florida bei der Wahl vor zehn Jahren. Das war eine schlechte typographische Lösung, die uns nicht nur acht Jahre Bush gebracht hat, sondern auch den Irakkrieg und den Afghanistankrieg. Ein relativ klares Beispiel von schlechtem Design."