Matura-"Illusion platzt"
Uni-Forscher: Regierung versagt
Der Hochschulforscher Hans Pechar wirft der Regierung Versagen in der Hochschulpolitik vor: Es gebe keine ausreichende Finanzierung von Studienmöglichkeiten. Pechar fordert neben mehr Geld für die Unis vor allem Zugangsbeschränkungen und auch Studiengebühren. Die Matura als Studierberechtigung sei eine "Illusion" geworden.
8. April 2017, 21:58
"Maßnahmenbündel gegen sehr ernste Situation"
Hochschulforscher Hans Pechar "Im Journal zu Gast" am 09.10.2010 bei
"Illusion Matura" platzt
Pechar sagt im Ö1-Interview "Im Journal zu Gast", man müsse sich in Österreich von der lange Zeit gelebten Illusion befreien, "dass die Bewältigung der Matura ausreicht, um ohne weitere Probleme eine tertiäre Ausbildung durchlaufen zu können. Je mehr die Matura haben - derzeit 40 Prozent, Tendenz steigend - desto weniger ist es aufrecht zu erhalten, all diesen Menschen eine einheitliche Berechtigung für alles zu geben." Dieser Lernprozess werde von der jungen Generation als schmerzhaft und Schock erlebt. "Aber das ist eben so, wenn Illusionen platzen." Gleichzeitig müsse man politisch durchsetzen, dass die öffentliche Hand ein ausreichendes Studienangebot finanziert. Es sei die Verantwortung der Regierung, den Studierwilligen genügend Platz zu bieten.
Geld und Beschränkungen
Pechar sieht wegen des Geldmangels an den Unis zwar keine Gefahr für gesamte Hochschulen, aber durchaus die Möglichkeit, dass Neuaufnahmen für einzelne Studienrichtungen ausgesetzt oder beschränkt werden müssen. Schlimm sei diese Situation für die nachkommende Generation, aber auch für das akademische Personal. Die "sehr ernste" Situation könne nur durch ein Maßnahmenbündel verbessert werden, so Pechar. Bestandteile dieses Bündels seien einerseits die Finanzierung, andererseits aber auch eine Änderung beim Hochschulzugang. Mehr Geld allein werde die Lage nicht ändern, sagt der Hochschulforscher.
Für Studiengebühren
Auch zusätzliche Mittel von Industrieunternehmen würden das Problem der Massenstudien nicht lösen. Hier müsse es zu einem Mix kommen, so Pecher: Neben einer verbesserten Grundfinanzierung über öffentliche Mittel sei es auch gerechtfertigt, "private Einnahmen seitens der Studierenden zu lukrieren - Studiengebühren, Studienbeiträge, wie immer man das nennt". Laut Umfragen würden rund 70 Prozent der Bevölkerung Studiengebühren grundsätzlich befürworten. Als Höhe nennt Pechar 700 bis 1.000 Euro pro Jahr - "im internationalen Bereich eine sehr geringe Gebühr". Um über die folgenden Jahre zu kommen, seien aber auch in Summe gar nicht so kleine Beträge wie insgesamt 150 Millionen Euro willkommen.
Zu wenig Steuermittel
Im internationalen Vergleich ist die Finanzierung der Universitäten sehr unterschiedlich geregelt, erläutert Pechar. Die angelsächsischen Länder, vor allem Nordamerika, hätten eine starke private Finanzierung, also hohe Studiengebühren. Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung werde dort aber deutlich über zwei Prozent - 2,6 bis 2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) - ausgegeben. In Europa sind es die nordischen Länder, die für ihre Unis deutlich mehr als der OECD-Durchschnitt ausgeben. Dort würden bisher aber keine Studiengebühren verlangt, was möglich sei, weil diese Länder eine hohe Steuerquote haben - und zwar noch deutlich höher als Österreich. Und Pechar sieht keinen Hinweis, dass sich Österreich in die Richtung dieses nordischen Modells bewegt. Was es schwer machen werde, dass Österreich die Universitäten ausschließlich über öffentliche Mittel finanziert, sagt Pecha.
Selektion zu Studienbeginn
Beim Zugang zum Studium hält Pechar die Aufnahmeprüfung für "klüger" als eine mehrjährige Studieneingangsphase: Die Selektion der Studierenden sollte zu Beginn des Studiums passieren, "weil das ja auch Lebenszeit der betreffenden Studierenden ist". Die Studierenden müssten auf jeden Fall selektiert werden, wenn es zum Beispiel nur tausend Studienplätze für 3.000 Studenten gebe. "Das ist de facto eine Knock-out-Prüfung, das kann man über mehrere Formulierungen behübschen, aber das Faktum bleibt."
Ohne "Plan B" geht es nicht mehr
Für Studierende bedeute das, so Pechar: "Es reicht nicht mehr aus, sich kurz vor der Inskriptionsfrist zu überlegen, was ich mache. Sondern man muss damit rechnen, dass die erste Wahl nicht möglich ist und dass man einen Plan B braucht." Hans Pechar leitet das Institut für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung der Universität Klagenfurt.