Schulbehörde und Helfer protestieren

Abschiebung: Wo bleibt die Menschlichkeit

Die Fremdenpolizei will eine 14-jährige Armenierin aus der Klasse abholen. Das Mädchen ist aber vorher untergetaucht und seither verschwunden. Die Mutter ist nach Angaben der Volkshilfe suizidgefährdet. Die Vorgangsweise sei rechtlich gedeckt, heißt es im Innenministerium. Schulbehörden und Hilfsorganisationen fragen nach der Menschlichkeit.

Mittagsjournal, 14.10.2010

Nicht alles Erlaubte ist auch menschlich

Erlaubt sei es auf jeden Fall, dass Fremdenpolizisten an die Schule gehen, so die Wiener Polizei. Seitens des Wiener Stadtschulrates hält man die Vorgangsweise der Polizei zwar nicht für verboten, aber dennoch nicht für in Ordnung, sagt Präsidentin Susanne Brandsteidl: "Nicht alles, was rechtlich erlaubt ist, ist auch menschlich gerechtfertigt und richtig." Die Schüler seien betroffen und hätten psychologischen Beistand erhalten. Das Mädchen sei eine gute Schülerin, sagt Brandsteidl: "Sie war vorher vier Jahre in der Schule, war gut integriert und hat gut Deutsch gesprochen."

"Um das Mädchen kümmern"

Rechtlich sei der Fall astrein gelaufen, lautet der Kommentar des Innenministeriums. Bei der Volkshilfe Wien sieht man das anders, hier wurde die Familie seit vier Jahren betreut.
Die Mutter habe mehrere Selbstmordversuche hinter sich. Für das Mädchen sei die Situation sicher schwer zu verdauen gewesen, sagt Stefan Amann von der Volkshilfe: "Das Kind hat den seelischen Verfall der Mutter erlebt - seit Jahren." Und das Mädchen sei ein ruhiges und beliebtes Kind. "Und wenn so ein Kind durchbrennt, dann muss unsere Aufmerksamkeit brennen, dass dem Kind nichts passiert."

Rechtslage eindeutig

Doch wie ist der Fall rechtlich gelagert? Die armenische Familie sei vor vier Jahren über Ungarn nach Österreich eingereist - das war im Februar 2006. Bereits im März habe das Bundesasylamt den Asylantrag zurückgewiesen und die Ausweisung nach Ungarn verfügt. Österreich sei nicht zuständig, weil die Familie auch in Ungarn einen Antrag gestellt hat.
Auch eine Berufung der Familie gegen die Ausweisung wurde abgelehnt. Die Familie wurde aufgefordert, das Land freiwillig zu verlassen. Das geschah aber nicht, statt dessen brachte die Familie den Fall vor den Verwaltungsgerichtshof. Erst vier Jahre später wird die Beschwerde abgewiesen. Es folgt ein weiterer Asylantrag - dieser wird im September 2010 abgewiesen.

Das Falsche geprüft?

Hätte man der Familie nicht besser gleich zur freiwilligen Ausreise raten müssen? Stefan Amman von der Volkshilfe sagt, nein. Denn ob die Frau in ihrer Heimat traumatisiert worden sei, sei niemals geprüft worden, sagt Amann. Statt dessen sei nur jahrelang geprüft worden, wer überhaupt zuständig sei.

Das Mädchen ist nach wie vor verschwunden. Seitens der Wiener Polizei heißt es, die oberste Prämisse sei das Kindeswohl, man müsse das Mädchen wiederfinden. Vorher möchte man zu diesem Fall offiziell nichts mehr sagen.

Eine Reportage aus der Schule der 14-Jährigen

Mittagsjournal, 14.10.2010,

Betroffenheit in der Schule

"Anti-Abschiebung" hängt in großen Lettern an der Eingangstür und den Fenstern des Oberstufen-Realgymnasiums im dritten Wiener Bezirk. Die Schülerin ist bei ihren Kolleginnen beliebt. Sie machen sich Sorgen, wie es ihr geht, nachdem sie "verzweifelt und verwirrt" ihre Sachen packte aus der Klasse ging. Zwei Schulpsychologen sind seit dem Vortag im Dauereinsatz und führen Kleingruppengespräche. Es gibt auch noch andere Schüler mit Asylhintergrund in der Schule.