Hinter den Kulissen der indischen Stadt

Metropole Agra

Tausende Touristen besuchen täglich die indische Stadt Agra, etwa 200 Kilometer südlich von Delhi. Ziel ist das Taj Mahal, eines der bekanntesten Gebäude weltweit.

"Es macht einen sprachlos. Es gibt einfach nicht die Worte, um die Schönheit dieses weißen Marmormausoleums auszudrücken. Dieses Bauwerk ist wie eine Träne Shah Jahans auf dem Antlitz der Zeit." Mit salbungsvollen Worten beschreibt Rajív Aramandol das Taj Mahal. Der junge Mann verdient sein Geld als Fremdenführer in Agra. Das Taj Mahal ist wohl das bekannteste Gebäude Indiens. Es wird täglich von Tausenden Touristen aus aller Welt besucht. Majestätisch steht das 55 Meter hohe Mausoleum aus weißem Marmor am Ufer des Flusses Jamuna.

100 mal 100 Meter misst die Marmorplattform, auf der Shah Jahan das Grabmal für seine früh verstorbene Frau Mumtaz Mahal errichten ließ. Das Gebäude besteht aus einer großen zentralen Kuppel und vier Minaretten, an jeder Ecke der Plattform eines. Zwei Sandsteingebäude flankieren das Ensemble.

Marmor aus Rajasthan

22 Jahre lang dauerte es bis zur Fertigstellung des Taj Mahal. Insgesamt arbeiteten 22.000 Menschen auf der Baustelle. Der blendend weiße Marmor wurde bei Makrana in Rajasthan gebrochen. Über 1.000 Elefanten wurden zum Transport der Steine herangezogen. Die kostbaren Ziersteine, die in den Marmor eingearbeitet wurden, stammen aus Persien, Russland, Afghanistan und Tibet.

Bei der Errichtung wurde nichts dem Zufall überlassen. Es sollte ein Bauwerk für die Ewigkeit sein. So wurden etwa die vier Minarette, die die Ecken der quadratischen Marmorplattform zieren, leicht nach außen geneigt gebaut. Dies sollte gewährleisten, dass sie, sollten sie während eines Erdbebens umstürzen, nicht auf die Kuppel des Mausoleums fallen, sondern nach außen.

Das Taj Mahal ist eines der bestgesicherten Gebäude Indiens, die Besucher werden genau kontrolliert. Um das Gebäude herum sind Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren verboten. Die Abgase würden dem Taj Mahal zu sehr schaden, erklärt Rajív Aramandol. Ob der wenige hundert Meter breite Korridor etwas bewirkt, ist zu bezweifeln. Denn über der Millionenstadt Agra hängt eine graue Smogglocke, die sich niemals zu verziehen scheint.

Großfamilie unter einem Dach

Der Fremdenführer lädt mich auf eine Tasse Tee in sein Zuhause ein. Er bewohnt das Haus, das etwas außerhalb des Stadtzentrums liegt und das wir über eine unasphaltierte Straße erreichen, mit seinen drei Brüdern und deren Familien. Bei Bedarf, etwa wenn sein ältester Sohn eine Familie gründen wird, ist das Haus einfach um einen Stock erweiterbar. Als ältester Bruder ist Rajív das Familienoberhaupt. Bevor er das Haus betritt, ruft er auffällig laut und wartet noch einen Moment vor der Haustüre. Damit gibt er den Frauen seiner Brüder Zeit, sich rechtzeitig zu verhüllen, erklärt er grinsend. Denn die dürfen ihm nur verhüllt unter die Augen treten.

Im Haus und am Dach spielen zahlreiche Kinder. Rajív ist auch für die Erziehung der Kinder seiner jüngeren Brüder verantwortlich. Die Stadt Agra sei sehr gefährlich, erklärt er, darum dürfen die Kinder nicht draußen spielen. Seit einigen Monaten häufen sich Fälle von Kindesentführungen. Vor allem einheimische Kinder werden direkt von der Straße geholt, zwei bis drei Tage später melden sich die Entführer und verlangen Lösegeld von den Eltern. Etwa fünf bis sechs Kinder werden täglich entführt, meint Rajív.

Rajív führt englisch- und italienischsprachige Fremde. Er hat Italienisch gelernt, weil er glaubt, dass die Zahl italienischer Touristen in Agra steigen wird. Dass er seine Sprachkenntnisse jemals in Italien erproben könne, daran glaubt der 40-Jährige nicht. Seine Brüder sind Chauffeure, die Touristen meist in mehrtägigen Touren quer durch Rajasthan kutschieren.

Der Alltag der Familie ist für Mitteleuropäer sehr ungewöhnlich: Die vier Familien leben - abgesehen von einem minimalen Gehalt - hauptsächlich von den Trinkgeldern der Touristen, die sie durch das Land fahren oder denen sie die Sehenswürdigkeiten erklären. Jede Familie bewohnt zwei Zimmer. Brot backen sie selbst, die Milch holen sie täglich zweimal von ihrem Nachbar. Der ist zwar Polizist hält aber zusätzlich mitten im Verkehrsgewühl der Großstadt zwei Kühe. Nichts Ungewöhnliches in Indien.

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