Hier die Frau, da die Mutter
Der Konflikt
Die Philosophin Elisabeth Badinter sieht die von Frauen erkämpften Freiheiten zunehmend durch die neuen Ideale von der perfekten Mutter bedroht. Könnte das Idealbild der perfekten Mutter vielleicht gar für den Geburtenrückgang verantwortlich sein?
27. April 2017, 15:40
Fokus Mutterschaft
"Die Psychoanalyse hat uns gelehrt, dass das Verhalten der Mutter entscheidend für das Gleichgewicht des Kindes ist, dass praktisch das Schicksal des Kindes davon anhängt", erklärt Elisabeth Badinter", damit wurden extreme Schuldgefühle erzeugt. Und nachdem der Mutter seit dem Zweiten Weltkrieg immer mehr Aufgaben aufgeladen wurden, die Frauen aber gleichzeitig unabhängig werden wollten, finden wir uns in einem Interessenskonflikt."
30 Jahre nachdem Elisabeth Badinter in ihrem Buch "Mutterliebe. Die Geschichte eines Gefühls" den Mutterinstinkt als Konstrukt der Neuzeit entlarvt hat, entdeckt die Philosophin eine Rückbesinnung auf das traditionelle Mutterbild: Den Zwang zum natürlichen Umgang mit dem Kind - es möglichst viel am Körper zu tragen, nach Bedarf zu stillen und mit ihm im selben Bett zu schlafen - bezeichnet Badinter als "Primitivismus". "In den letzten drei Jahrzehnten hat sich eine Revolution in unserem Verständnis von Mutterschaft ereignet", schreibt sie. Diese Revolution habe nichts Geringeres zum Ziel, als die Mutterschaft wieder ins Zentrum des weiblichen Lebens zu stellen.
"Einerseits die Rückkehr - man kann fast sagen - zum Primitivismus und andererseits die Standpunkte von Kinderpsychologen versuchen die Frau davon zu überzeugen, dass ihr Platz beim Kind ist, Körper an Körper, dass sie ihrem natürlichen Trieb folgen soll, etwa ihrem Drang zu stillen: Dass sei gut fürs Kind und entspreche der natürlichen, authentischen Mutterschaft", erklärt Badinter.
Die magische Milch
Der Konflikt, der im Inneren der Frau zwischen ihrer Rolle als Mutter und jener als Frau tobt, werde durch die Erwartungen an die perfekte Mutter auf die Spitze getrieben. Das Kernstück dieser Mutterschaft bildet das Stillen. Hier läuft Elisabeth Badinter sowohl wissenschaftlich als auch stilistisch zu Höchstformen auf: Unter der Überschrift "Der Kampf um die Milch" hebt sie zu einem Rundumschlag gegen den weltweit agierenden Stillverband La Leche League an, deren - für Badinter zweifelhafter - Verdienst es sei, dass Organisationen wie die WHO Richtlinien für das Stillen verabschieden.
Den Argumenten von Stillanhängerinnen, die die Muttermilch zu einem übernatürlichen Elixier stilisieren und ihr fast magische Wirkung zuschreiben, begegnet Badinter mit viel Ironie und einer gesunden Portion Sarkasmus. In jener hochemotionalen Debatte um das psychische Gleichgewicht von Kind und Mutter tritt eine rationale Wissenschaftlerin auf den Plan und hält den Argumenten der Stillverfechterinnen wissenschaftliche Studien entgegen.
Wer entscheidet über den Körper?
Auch wenn die Leche League keine frauenmanipulierende Kampfstilltruppe ist, so war eine Kritik, eine Absage an die Alleingültigkeit des naturalistischen Mutterbegriffs längst fällig. Denn kein Mutterratgeber, kein Arzt, keine Gebärstation überlässt das Stillen der Entscheidungsgewalt der Mutter. Elisabeth Badinter ist die erste ernst zu nehmende Stimme, die daran erinnert, worum es hier geht: um den Körper einer Frau. Sie fordert schlicht und einfach, dass die Brüste der Mutter in der Verfügungsgewalt der Frau liegen.
"Ich glaube einfach, dass nicht alle Frauen Lust haben zu stillen. Und ich glaube, dass das eine derart intime Entscheidung ist, dass niemand das Recht hat, Druck auf sie auszuüben", sagt Badinter."Völlig unbeirrbar erzählt man, dass das Stillen tausend Mal besser sei als die Ernährung mit einem Fläschchen. Es steht außer Frage, dass die Muttermilch perfekt auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmt ist, aber darüber hinaus zu behaupten, dass sie das Kind vor unzähligen Krankheiten schütze - ich habe sogar gelesen, ein gestilltes Baby habe ein geringeres Risiko für Prostatakrebs - erscheint mir abstrus."
Kinderlosigkeit statt Scheitern
Laut Elisabeth Badinter ist die Kinderlosigkeit in Ländern wie Österreich oder Deutschland im Gegensatz zum gebärfreudigeren Frankreich auf das Erstarken des traditionellen Mutterbildes zurückzuführen. In Gesellschaften, die dem Individualismus frönen und in denen die meisten Frauen ihr eigenes Geld verdienen müssen, ist Mutterschaft grundsätzlich eine Herausforderung. In Gesellschaften aber, die im Gegensatz zur französischen das Konzept der Rabenmutter kennen, führt das Anforderungsprofil der perfekten Mutter zwangsläufig zu Kinderlosigkeit. Und nachdem die naturalistische Philosophie über die Macht verfügt, Schuldgefühle zu erzeugen, so Badinters These, verzichtet man lieber auf Kinder, als an der perfekten Mutterschaft zu scheitern.
"Mein Ziel ist es, den jungen Müttern zu sagen, dass es keine perfekte Mutterschaft gibt", erklärt die Autorin. "Wie durch ein kleines Wunder gibt es manchmal Frauen, die sich als sehr, sehr gute Mütter entpuppen. Aber ich finde diese Frauen sind so selten wie ein Mozart. Wir, der große Rest, der überwiegende Teil der Frauen, sind durchschnittliche Mütter, wir haben unsere Grenzen."
Ruf nach Gesellschaftsreform
Eine der wenigen expliziten Forderungen, die Elisabeth Badinter in "Der Konflikt" stellt, betrifft eine "grundlegende feministische Reform der Gesellschaft, der Politik, der Wirtschaft und vor allem der Männer."
"Der Staat und die Mutter sind für das Kind verantwortlich", erklärt Badinter. "Über den Vater spricht man nicht. Man schimpft ständig auf die Politik, es gibt nicht genug Kinderbetreuungsplätze und so weiter. Ich habe noch nie einen Präsidenten der Republik erlebt, der sich mit der seriösen Botschaft an die Männer wendet: 'Hört zu, unser Familienmodell ist absolut anti-demokratisch.' Wie kann man erwarten, dass die Frauen immer verfügbar sind und gleichzeitig leistungsfähig am Arbeitsplatz? Das ist unmöglich!"
Dass sich der Arbeitsmarkt in den letzten 30 Jahren wesentlich drastischer gewandelt hat als das Mutterbild, liest man bei Badinter nur zwischen den Zeilen. Dass eine Frau, die kurz nach der Geburt wieder arbeitet und ihr Kind zwischen Tages- und Großmutter jongliert, nicht unbedingt nach Selbstverwirklichung strebt, sondern ökonomischen Notwendigkeiten folgt und sich widerstandslos dem Arbeitsmarkt unterwirft, lässt sie außer Acht. Denn davon geht Badinter nach ein paar Jahrzehnten Frauenbewegung stillschweigend aus: Ungeachtet der Bedingungen am Arbeitsmarkt muss jede Frau auf eigenen Beinen stehen.
"Es gibt ein Wort, das heute nie mehr gesagt wird, an das man junge Frauen aber erinnern muss. Es heißt Unabhängigkeit. Man muss die eigene ökonomische Unabhängigkeit bewahren - ohne Unabhängigkeit sind wir verdammt", sagt Badinter. "Nachdem jede zweite Ehe geschieden wird, muss man sich doch diese Freiheit bewahren. Wenn man seinen Partner nicht mehr liebt, wenn man ihn verachtet, schlimmer noch, wenn es Gewalt gibt, muss man die Möglichkeit haben, seinen Koffer zu packen, zu gehen und das eigene Überleben und das des Kindes zu garantieren. Ich bin verblüfft, wie sehr die heute 30-Jährigen das aus den Augen verloren haben."
Service
Elisabeth Badinter, "Der Konflikt. Die Frau und die Mutter", aus dem Französischen übersetzt von Ursula Held und Stephanie Singh, C. H. Beck Verlag
C. H. Beck