Enthüllungsjournalisten versus Zivilgesellschaft
Wer kontrolliert die Mächtigen?
Viele große Skandale werden von Wikileaks und NGOs aufgedeckt. Es scheint, als würden sie den alten Medien den Rang ablaufen. Diese wiederum jammern über die Krise und die Gratiskultur im Netz. Personal wird eingespart und für aufwändige Recherchen ist kein Geld da. Wer also wird in Zukunft den Mächtigen auf die Finger schauen?
8. April 2017, 21:58
"Nicht die Geschichte des Afghanistankrieges ist anders zu sehen, sondern die Zukunft des Enthüllungsjournalismus." - Das schrieb die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit“, nachdem die Internetplattform Wikileaks im Sommer bereits 90.000 Geheimakten zum Afghanistan-Krieg veröffentlicht hatte. Die Krisen werden komplexer - die Ressourcen für unabhängige Medien immer geringer.
"Der investigative Journalist ist ein Reformer. Er ist kein Aktivist, kein Politiker. Er will etwas reformieren. Er will Missstände aufzeigen, die geändert gehören. Journalismus ist eine Kontrollfunktion", so beschreibt Aufdecker-Journalist Florian Klenk von der Wiener Stadtzeitung "Der Falter" seine Profession. Doch gute Hintergrundrecherche braucht vor allem eines: Zeit. Und die kostet Geld. Nicht immer weiß man am Anfang, ob am Ende auch wirklich eine große Geschichte herauskommt.
Die Schmuddelkinder der Medienlandschaft
Das Web 2.0 hat NGOs, Bürger und Bürgerinnen zu Berichterstattern gemacht. Für professionelle Journalisten sind sie die Schmuddelkinder der Medienlandschaft: die Blogger und Bloggerinnen, die ihre Kommentar und Reportagen veröffentlichen - ohne dafür Geld zu bekommen. Und klassische Journalisten rümpfen manchmal die Nase über Lobby - Journalisten von Umwelt- oder Menschenrechtsorganisationen, sowie über Aktivisten der sogenannten Zivilgesellschaft, die überall zugegen sind, wo etwas passiert. Die mit dem Handy Fotos oder Videos machen, diese ins Internet laden, wo sie sich über Soziale Netzwerke, wie Facebook und Twitter in Windeseile verbreiten.
Früher waren NGOs und andere Interessensgruppen vollkommen abhängig von der Berichterstattung der Medien, wenn sie ihre Anliegen in die Öffentlichkeit bringen wollten. Heute sind sie es nur noch teilweise und wer weiß, morgen vielleicht gar nicht mehr. Verlieren die klassischen Medien am Ende noch ihre gesellschaftliche Kontrollfunktion?
Objektivität war gestern
Eine Studie der französischen Business School INSEAD besagt: Wenn klassische Medien nicht vom Markt verschwinden wollen, dann sollten sie sich lieber früher als später wieder auf Investigativjournalismus konzentrieren. Agenturmeldungen kann schließlich jeder verbreiten. Die beiden Autoren der Studie, Luk Van Wassenhove und der US-amerikanische Investigativjournalist Mark Lee Hunter, sind außerdem der Meinung, dass es einen Paradigmenwechsel im Journalismus von Morgen braucht: Und gerade hier sollen sich die klassischen Medien von den "Schmuddelkindern", den Alternativmedien diverser Interessensgruppen etwas abschauen.
Erstens in Bezug auf die professionelle Ethik: Objektivität war gestern. Was für das Publikum heute zählt, ist Transparenz. NGOs und andere Interessensgruppen stehen auf einer bestimmten Seite -aber sie legen ihre Motive offen. Das sei vertrauenswürdiger als eine angeblich neutrale Redaktion, die aber von bestimmten Interessensvertretern finanziert wird. Wer vorgibt, objektiv zu sein, lügt sich sowieso ins eigene Hemd, ist auch Buchautor und Journalist Klaus Werner-Lobo überzeugt: "Es gibt keine Objektivität und ich halte das auch nicht für erstrebenswert. Wenn jemand behauptet, objektiv zu sein, ist er noch viel empfänglicher dafür, sich von Interessen missbrauchen zu lassen, vor allem den eigenen Interessen."
Kooperation statt Konkurrenz
Zweitens glauben die Autoren der französischen Studie, dass sich das Produkt Journalismus immer mehr in eine Dienstleistung wandelt. Sprich: Hörer und Leser wollen nicht nur, dass man sie auf Probleme aufmerksam macht, sondern wünschen sich auch konkrete Lösungsvorschläge. So wie das viele NGOs seit jeher machen.
Einen Vorteil, den zivilgesellschaftliche Organisationen gegenüber Medienunternehmen haben: Sie sehen sich gegenseitig nicht als Konkurrenten, sondern vernetzen sich weltweit und tauschen Informationen aus. Genau das könnte in Zukunft auch für das Mediengeschäft essentiell sein, schreibt "Die Zeit": Die Zukunft sind die Netzwerke - sei es in Form von Kooperationen zwischen Zeitungen über Grenzen hinweg, sei es in Form von multinationalen Recherchepools oder der Zusammenarbeit mit Stiftungen und Universitäten.
Service
Die Zeit -Ans Licht gebracht
Falter
Klaus Werner-Lobo
Mark Lee Hunter -Stakeholder Media and the Future of Watchdog Journalism Business Models