Zentrales Thema Mitteleuropa
Großausstellungen in Brügge
Brügge, die Kulturhauptstadt Europas 2002, organisiert alle fünf Jahre ein großes Kulturfestival. Heuer ist das Festival "Brugge Centraal" Mitteleuropa gewidmet. Unter anderem wurden vorige Woche zwei sehr interessante Großausstellungen eröffnet.
8. April 2017, 21:58
Kultur aktuell, 02.11.2010
Schlüsselfigur Jan van Eyck
Im Spätmittelalter war Brügge eine der wichtigsten Handelsstädte in Westeuropa. Dieser Reichtum zog viele Künstler an, und es gab ein florierendes Mäzenatentum. Im 15. Jahrhundert war die Stadt tonangebend in der Malerei, die Vertreter der sogenannten "Flämischen Primitiven" - auch altniederländische Malerei genannt - waren das Pendant nördlich der Alpen zu den Anfängen der italienischen Renaissance.
Eine Schlüsselfigur war Jan van Eyck, der in Brügge bis zu seinem Tod 1441 wirkte. 2002 war er der Ausgangspunkt einer Ausstellung im Groeningemuseum über van Eyck und der Süden, diesmal führt der Blick unter dem Titel "Van Eyck bis Dürer" nach Osten.
Ein europäischer Blick
"Der Gedanke ist der, dass das Thema der Verbreitung von der niederländischen Ars Nova im 15. Jahrhundert im Ausstellungsbereich und auch als Übersicht nie europäisch gesehen worden ist. Das wollten wir hier leisten", so Till-Holger Borchert, Kurator im Groeningemuseum.
Zeitlich endet die Schau mit der berühmten Reise Albrecht Dürers in die Niederlande 1520 bis 1521. Die Künstler reisten damals viel, und so versucht die Ausstellung die Einflüsse auf Künstler in Mitteleuropa, also Süddeutschland und Österreich bis nach Polen und die baltischen Staaten, nachzuzeichnen. Ausgehend von Van Eycks berühmtem Gemälde "Madonna des Kanonikus Joris van der Paele" wird in zehn Sälen ein reicher kunsthistorischer Überblick mit einer Fülle an Werken geboten.
Keine didaktische Präsentation
Bewusst wurde auf eine didaktische Präsentationform weitgehend verzichtet: "Ich habe immer die Angst, dass, wenn man zu viele Erläuterungen gibt, man den Leuten die Illusion vermittelt, dass sie alles wüssten und manche Leute das Gefühl kriegen, dass sie das alles wissen müssen, um das Bild zu verstehen oder selbst schön zu finden. Und das ist natürlich nicht der Fall", so Borchert.
Ein wenig irreführend ist der Titel, denn es werden nur drei Werke von Van Eyck gezeigt. Kurator Till-Holger Borchert erklärt das mit dem Hinweis, dass es eben vor acht Jahren schon eine große Van-Eyck-Ausstellung gegeben habe und man sich nicht wiederholen wolle.
Luc Tuymans als Kurator
Als Pendant zu der Ausstellung alter Meister wurde Luc Tuymans, der international prominente, aus Antwerpen stammende Maler eingeladen, zeitgenössische Künstler zu präsentieren. Tuymans, zweimaliger documenta-Teilnehmer, vertrat sein Land bei der Biennale in Venedig und stellte u.a. in der Londoner Tate Modern aus. Der "Spiegel" nannte ihn einen "Inszenator des Schreckens", der "die Banalität des Grauens" male.
"Ein Blick auf Zentral Europa" nennt Tuymans seine Schau. Er bespielt dafür vier historische Wahrzeichen von Brügge, sowie das moderne Concertgebouw-Gebäude: "Wir haben das im genealogischen Sinne erweitert, dass es auch Leute wie Warhol in der Ausstellung sind, weil die Eltern aus der Tschechoslowakei kamen. In dem Sinne ist auch Weegee in die Ausstellung bezogen, weil er Österreicher war. Es war die Idee eine Ausstellung gegen das Klischee zu machen, dass es keine Avantgarde oder keine Qualität gäbe", so Tuymans.
Vielseitige Ausstellung
So bietet die Schau ein Spannungsfeld zwischen Stars wie die Maler Gerhard Richter, Neo Rauch und Sigmar Polke und wenig bekannten Größen aus Polen, Armenien und Kroatien. Luc Tuymans reagiert in seiner Ausstellungen auf die jeweiligen Gebäude, geschickt nützt er die Räumlichkeiten für die unterschiedlichsten Medien-Gemälde, Grafiken, Installationen, Projektionen und Objekte - was bei denkmalgeschützten Gebäuden nicht leicht ist.
Bemerkenswert ist dabei die hohe Qualität der Kunstwerke. "Das ist der Grund, warum ich das angenommen habe: um deutlich zu machen, dass man mit einem ambitionierten Projekt - das ist eine große Ausstellung, es sind 250 Kunstwerke von 44 Künstlern zu sehen - klar machen wollte, dass man das Publikum nicht unterschätzen sollte und dass man statt Populismus wirklich Qualität abliefern sollte", betont Tuymans.
Neue Perspektiven
Wahrscheinlich erklärt sich die Qualität der Schau durch die Tatsache, dass Luc Tuymans Maler ist. Wobei es die achte Ausstellung ist, wo er als Kurator fungiert. Er meint, es sei seine am besten gelungene: "Kuratieren ist nicht mein Job, aber andererseits ist es ganz interessant, weil ich eine Ausstellung nicht aus einem kunsthistorischen Blickwinkel mache, weil ich ein visueller Künstler bin."
In Summe: zwei bemerkenswerte Ausstellungen, die komplementär sind: die eine historisch in einer historischen Stadt, die andere im Spannungsfeld zwischen alt und neu.
Textfassung: Rainer Elstner