Rotterdams Parallelgesellschaften
Hochburg der Einwanderer und Rechtspopulisten
Rotterdam, die zweitgrößte Stadt der Niederlande, hat einen Migrantenanteil von über 50 Prozent und als erste westeuropäische Großstadt einen muslimischen Bürgermeister. Die Hafenstadt an der Rheinmündung ist auch eine der Hochburgen der niederländischen Rechtspopulisten.
8. April 2017, 21:58
"Der Deckel ist vom Kochtopf weggeflogen."
Per Smeets über Geert Wilders' Verständnis der Redefreiheit
Unsicherheit und Radikalität
In Rotterdam beträgt der Anteil der nicht im Land Geborenen bereits mehr als 50 Prozent; seit zwei Jahren hat die Stadt mit Ahmed Aboutaleb einen Bürgermeister, der in Marokko zur Welt gekommen ist. Er ist der erste muslimische Bürgermeister einer westeuropäischen Großstadt.
An Zuwanderung ist man in den Niederlanden schon seit Jahrhunderten gewöhnt, doch die vielen Immigranten aus islamischen Ländern haben bei manchen Unsicherheit ausgelöst. Nach 9/11, nach den Anschlägen von New York, ließen in Rotterdamer Einwanderervierteln manche Osama Bin Laden hochleben. Ein Jahr darauf, bei der Gemeinderatswahl von 2002, erhielt eine rechtspopulistische Liste 35 Prozent der Stimmen.
Feindbild Islam
Seitdem sind Figuren wie der von einem radikalen Tierschützer ermordete Pim Fortuyn oder jetzt Geert Wilders, der Mann mit dem blonden Haarschopf, zentrale Akteure der holländischen Politik. Er wolle Politik für "Henk und Ingrid" machen und nicht für "Ali und Fatma", sagt Wilders. Er hat eine indonesische Großmutter, ist mit einer Ungarin verheiratet und tritt nicht grundsätzlich gegen Zuwanderer auf, sondern gegen solche aus muslimischen Ländern.
Wilders bezeichnet den Islam als "faschistisch" und will den Koran in Holland verbieten. Wilders steht rund um die Uhr unter Bewachung, er wird von radikalen Islamisten mit dem Tod bedroht und muss von seinen Securities über den Hintereingang ins Parlament gebracht werden. Bei den Wahlen im vergangenen Juni ist seine PVV, die "Partei für die Freiheit", zur drittgrößten Partei des Landes geworden.
Ein Ohr für Probleme und Bedürfnisse
Die lokale Liste der Rechtspopulisten heißt "Lebenswertes Rotterdam". Sie hat bei den letzten Wahlen etwa gleich viel Stimmen erhalten wie die traditionelle Rathauspartei, die Sozialdemokraten. Marjan de Gruijter vom Verwey Jonker Instituut hat die Motive ihrer Wähler untersucht.
Diese Leute würden in relativ heruntergekommenen Gegenden wohnen, sie hätten Probleme in der Wohnumgebung, mit der Kleinkriminalität und mit vernachlässigten öffentlichen Plätzen, sagt de Gruijter :"Sie fühlen sich gegenüber den Ausländern benachteiligt. Für ihre Probleme und Bedürfnisse hingegen hätte niemand ein offenes Ohr." Diese Menschen wollten gehört werden, und eine Stimme für Geert Wilders sei ein Vehikel dazu.
Spracherwerb als Schlüssel
Die Einwanderungspolitik des Landes hat sich durch die neue politische Entwicklung mittlerweile gewandelt. Die holländische Tradition des "gedogen", des Duldens und Zulassens, habe, so heißt es, das Entstehen von Parallelgesellschaften und von "weißen" und "schwarzen" Schulen ermöglicht.
Dem soll jetzt entgegengearbeitet werden. Nicht nur neue Zuwanderer, sondern auch schon länger ansässige müssen Integrationskurse besuchen und einen Integrationstest absolvieren, der Familiennachzug ist eingeschränkt worden.
Besonderes Gewicht wird auf den Spracherwerb gelegt: In den Schulpausen etwa wird von den Kindern verlangt, Niederländisch zu reden, und der eigene Unterricht in der Muttersprache wurde in den Schulen abgeschafft. "Der war möglicherweise gut für die kulturelle Identität der Schüler, hat ihnen aber bei den Lehrinhalten nicht genutzt. Wir gehen da in Holland einen anderen Weg als andere europäischen Länder", so Paul Hoop vom Rotterdamer Schulamt.